Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
»Wär der nicht vielleicht was für dich?«
»Mutter, der war höchstens dreißig!«
»Na und? Raoul ist auch erst fünfzig. Das mit ihm war total intensiv, ich habe mich keine Sekunde älter als vierzig gefühlt. Wenn überhaupt. Es gibt nichts Besseres als jüngere Männer.«
Ich wollte es wirklich nicht so genau wissen, aber meine Mutter ließ sich nicht bremsen.
»Und dass es auseinanderging, hing nicht mit dem Altersunterschied zusammen!«
Das tat es bei ihr nie. Der Typ vor Raoul war auch fast zwanzig Jahre jünger gewesen als sie. Er stammte aus Neapel und hieß Paolo, beruflich machte er »irgendwas mit Abfallentsorgung, aber in leitender Funktion«. Dass er hauptberuflich ein Boss bei der Camorra war, hatte meine Mutter erst gemerkt, als er verhaftet und zu hundertfünfundachtzig Jahren Gefängnis verurteilt worden war.
»Es lag allein an Raouls unmöglicher Mutter«, sagte meine Mutter. »Die Frau ist ein Drachen! Sie wollte mich herumkommandieren! Sie! Mich! Obwohl sie drei Jahre jünger war als ich!« Meine Mutter hielt inne. »Was natürlich kein Mensch glauben wollte. Aber lassen wir das. Ist alles Schnee von gestern.«
Möglicherweise hätte sie noch mehr Einzelheiten berichtet, doch in diesem Moment kam der diensthabende Arzt zur Visite. Er wurde begleitet von einem ganzen Team von Krankenschwestern und Assistenzärzten. Freundlich, aber bestimmt schickte er meine Mutter aus dem Zimmer.
»Aber ich bin die Mutter«, protestierte sie. »Mein Kind hat keine Geheimnisse vor mir!«
»Nun gut, wenn Ihre Tochter damit einverstanden ist …«
Eigentlich hätte ich mich wohler gefühlt, wenn sie für eine Weile rausgegangen wäre, doch ich konnte ja schlecht so was sagen wie: Geh lieber raus, du nervst allmählich . Also zuckte ich nur stumm die Achseln, was mir augenblicklich ein lautes Stöhnen entlockte, weil die operierte Stelle wehtat.
Meine Mutter nutzte sofort die Gelegenheit, mir beizustehen. Sie tätschelte tröstend meine Wange und sagte: »Nach diesem schrecklichen Trauma musst du dich schonen, Kind!«
»Da spricht Ihre Frau Mutter wahre Worte«, sagte der Arzt. Er reichte zuerst meiner Mutter, dann mir mit festem Druck die Hand und stellte sich vor, obwohl meine Mutter längst mit Habichtsaugen das Namensschild an seinem Kittel fixiert hatte.
Prof. Dr. E. Habermann war ein Bild von einem Chefarzt, Mitte sechzig, hochgewachsen, silbergraues Haar, gütiges Lächeln.
Er erkundigte sich nach meinem Befinden, ließ sich von einem der hinter ihm stehenden Assistenzärzte ein paar Befunde vorlesen, nickte freundlich dazu und erklärte einer Krankenschwester mit medizinischen Fachausdrücken, welche Medikamente mir zu verabreichen seien. Damit war er fertig, nickte mir väterlich zu und wollte wieder gehen.
»Moment«, rief ich ihm nach. Mir war soeben siedend heiß etwas eingefallen. »Ich bin leider nicht privat versichert, aber das hier ist ein Einbettzimmer, oder? Und Sie sind der Chefarzt. Ähm, ich meine …« Ich stockte, denn es war von peinlicher Offensichtlichkeit, was ich meinte. Ich war ein stinknormales Kassenmitglied und gehörte deshalb in ein Drei- oder Vierbettzimmer, und die Visite müsste eigentlich ein gestresster Stationsarzt durchführen, ohne Händedruck, ohne Lächeln und ohne Begleittross. Ich erinnerte mich noch haargenau an die anderen Male, als ich im Krankenhaus gewesen war, jeweils anlässlich meiner Entbindungen. Beim letzten Mal hatte ich mir mit drei Müttern und vier kreischenden Babys ein Rooming-in-Zimmer geteilt. Einen Chefarzt hatte ich da nicht mal von Weitem gesehen.
Professor Dr. E. Habermann blickte sich hilfesuchend zur Oberschwester um, doch die sagte nur strahlend: »Das ist alles geregelt.«
»Hörst du, es ist geregelt«, sagte meine Mutter. »Nach diesem schrecklichen Trauma wäre es ja auch eine Zumutung, im Mehrbettzimmer zu liegen.« Sie war immer noch vollauf damit beschäftigt, den Chefarzt anzuhimmeln, und als er gleich darauf mitsamt seinem Gefolge den Raum verließ, war sie sichtlich enttäuscht. »Dieser Mann hat Charisma«, befand sie. »Erinnert mich an Professor Brinkmann.«
»Ich muss rauskriegen, ob das stimmt«, sagte ich nachdenklich. »Ob es wirklich geregelt ist, meine ich. Aus reiner Menschenfreundlichkeit kriegt heutzutage niemand ein Einbettzimmer im Krankenhaus.«
Bald darauf erfuhr ich Näheres von der Oberschwester. Ein Wohltäter hatte Sorge dafür getragen, dass ich erster Klasse untergekommen war – die Bank.
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