Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
gefährlich und ihr Atem geht keuchend, schließlich aber gelingt es ihr, sich an die Oberfläche zu hieven. Ich klemme mir ihre Decke unter den Arm und folge ihr mit einem einzigen kräftigen Satz.
Wir finden uns in einer engen dunklen Gasse wieder, ähnlich der, durch die wir den Tunnel betreten haben, und ich frage mich kurz, ob wir im Kreis gelaufen und nun doch wieder innerhalb der Republikgrenzen herausgekommen sind. Das wäre doch mal witzig. Nach einer Weile aber wird mir klar, dass dies hier keineswegs die Republik ist. Die Straße unter der löchrigen Schneedecke ist eben und ordentlich gepflastert und die Hauswand vor uns ist über und über mit bunten Plakaten beklebt, die grinsende Soldaten und lachende Kinder zeigen. In der Ecke jedes Plakats sehe ich ein kleines Symbol und nach ein paar Sekunden erkenne ich, was es ist. Ein goldener, falkenähnlicher Vogel. Freude durchzuckt mich, als mir klar wird, wie sehr der Vogel dem auf der Münze in meinem Anhänger gleicht.
Auch June hat die Poster gesehen. Ihre Augen sind weit aufgerissen und glänzen fiebrig, ihr Atem steigt in kleinen Wolken auf.
Die Gebäude rings um uns scheinen Militärkasernen zu sein, die von oben bis unten mit denselben bunten Plakaten beklebt sind. Ordentliche Reihen von Straßenlaternen erleuchten eine Straße in der Nähe. Das hier muss der Ort sein, von dem aus der Tunnel und die unterirdischen Bunker mit Strom versorgt werden. Ein kalter Wind weht uns noch mehr Schnee ins Gesicht.
Plötzlich greift June nach meiner Hand. Sie schnappt im selben Moment nach Luft wie ich. »Day … da drüben.« Sie zittert nun unkontrolliert, aber ich weiß nicht, ob die Kälte der Grund dafür ist oder der Anblick, der sich uns bietet.
Vor uns schimmert eine Stadt durch die Lücken zwischen den Kasernengebäuden: Riesige, glänzende Wolkenkratzer ragen bis in die tief hängenden Schneewolken hinauf und jedes Gebäude leuchtet in einem wunderschönen blauen Licht, das aus beinahe jedem Fenster, jedem Stockwerk strömt. Auf den Dächern der Hochhäuser stehen Kampfjets bereit. Die gesamte Umgebung scheint zu strahlen.
Meine Hand schließt sich um Junes. Wir stehen einfach bloß da, unfähig, irgendetwas anderes zu tun. Alles ist genau so, wie mein Vater es immer beschrieben hat.
Wir befinden uns mitten in einer funkelnden Stadt in den Kolonien von Amerika.
JUNE
Metias hat immer gesagt, wenn ich mal krank werde, dann richtig.
Ich weiß, dass es kalt ist, aber nicht die genaue Temperatur. Ich weiß, dass Nacht ist, aber nicht die Uhrzeit. Ich weiß, dass Day und ich es irgendwie über die Grenze in die Kolonien geschafft haben, aber ich bin zu müde, um darüber nachzudenken, in welchem Staat wir gelandet sind. Days Arm liegt fest um meine Taille und stützt mich, obwohl ich ihn vor Anstrengung zittern spüre, weil er mich so lange tragen musste. Er flüstert mir beruhigend ins Ohr und drängt mich vorwärts.
»Nur noch ein bisschen«, sagt er. »So nah an der Front gibt es sicher Krankenhäuser.«
Meine Beine zittern vor Mühe, mich aufrecht zu halten, aber ich weigere mich, jetzt das Bewusstsein zu verlieren. Wir stapfen durch flachen Schnee, den Blick fest auf die funkelnde Stadt direkt vor uns gerichtet.
Die Höhe der Gebäude variiert zwischen fünf und Hunderten von Stockwerken, einige von ihnen reichen bis in die tief hängenden Wolken hinauf. Der Anblick ist vertraut, aber zugleich auch völlig neu: An den Wänden hängen fremde Flaggen, die wie Schwalbenschwänze geformt sind, in Marineblau und Gold, die Fassaden der Gebäude sind mit kunstvoll gemeißelten Bögen verziert und auf jedem Dach stehen Kampfjets bereit. Es sind vollkommen andere Modelle, als ich sie aus der Republik kenne, mit seltsam nach hinten gebogenen Tragflächen, die sie wie Dreizacke erscheinen lassen. Sie sind mit grimmig aussehenden goldenen Vögeln und einem mir unbekannten immer wiederkehrenden Symbol bemalt. Kein Wunder, dass ich so oft gehört habe, die Luftwaffe der Kolonien sei besser als die der Republik – diese Jets sind wesentlich neuer und dürften, ihren Landeplätzen auf den Dächern nach zu urteilen, keine Probleme mit Senkrechtstarts und Punktlandungen haben. Diese Stadt nahe der Front wirkt mehr als bereit, sich zu verteidigen.
Und dann die Leute. Sie sind überall: Soldaten und Zivilisten bevölkern die Straße, zum Schutz vor dem Schnee in dicke Kapuzenmäntel gehüllt. Wenn sie durch das Neonlicht der Straßenlaternen laufen, schimmern
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