Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
verhindern«, erwidert Razor. »Und deinen Bruder habe ich auch nicht vergessen … Wenn June dem Elektor nahe genug kommt, kann sie vielleicht selbst in Erfahrung bringen, wo Eden ist.«
Bei diesen Worten leuchten Days Augen auf und Tess drückt ihm ermutigend die Schulter.
»Was dich betrifft, Day – ich habe noch nie erlebt, dass die Bevölkerung sich so sehr für jemanden eingesetzt hat wie für dich. Wusstest du, dass deine rote Haarsträhne über Nacht zum Trend geworden ist?« Schmunzelnd deutet Razor auf Days Schopf. » Das ist Macht. Im Moment könntest du genauso viel Einfluss haben wie der Elektor selbst. Vielleicht sogar noch mehr. Wenn wir deine Berühmtheit dazu nutzen können, die Menschen gegen die Regierung aufzubringen, wird der Kongress, wenn uns dann auch noch der Mord gelingen sollte, nicht in der Lage sein, eine Revolution zu verhindern.«
»Und was genau wollt ihr mit einer Revolution erreichen?«, fragt Day.
Razor beugt sich vor und sein Gesicht nimmt einen entschlossenen, beinahe hoffnungsvollen Ausdruck an. »Willst du wissen, warum ich mich den Patrioten angeschlossen habe? Aus denselben Gründen, aus denen du gegen die Republik arbeitest. Die Patrioten wissen, was du durchgemacht hast – wir haben alle gesehen, welche Opfer du für deine Familie gebracht hast und wie viel Schmerz die Republik dir zugefügt hat, June«, sagt Razor plötzlich und nickt mir zu. Ich krümme mich innerlich zusammen; ich will nicht daran erinnert werden, was Metias zugestoßen ist. »Auch dich habe ich leiden sehen. Deine gesamte Familie ist von einer Nation ausgelöscht worden, die du einst geliebt hast. Ich kann die Patrioten, die in der Vergangenheit ähnliche Dinge erleben mussten, schon gar nicht mehr zählen.«
Als die Sprache auf seine Familie kommt, richtet Day seinen Blick wieder zur Decke. Seine Augen bleiben trocken, doch als Tess die Hand ausstreckt, schließt er seine Finger fest um ihre.
»Die Welt außerhalb der Republik ist auch nicht perfekt, aber es gibt da draußen Freiheit und zumindest die Chance auf Selbstbestimmung, und alles, was wir tun müssen, ist, dieses Licht auch in die Republik scheinen zu lassen. Unser Land befindet sich auf der Schwelle – alles, was jetzt noch fehlt, ist eine Hand, die es hinüber auf die andere Seite schubst.« Razor steht halb von seinem Stuhl auf und tippt sich auf die Brust. »Und diese Hand könnten wir sein. Mit einer Revolution könnten wir die Regierung stürzen und das Land mithilfe der Kolonien wieder aufbauen und zu etwas Großartigem machen. Zu den Vereinigten Staaten. Die Menschen bekämen ihre Freiheit wieder. Day, dein kleiner Bruder könnte in einer besseren Welt aufwachsen. Diese Aussicht ist es einfach wert, sein Leben dafür aufs Spiel zu setzen. Sie ist es wert, dafür zu sterben . Meint ihr nicht?«
Ich sehe Day an, dass Razors Worte etwas in ihm bewegen und ein Funkeln in seinen Augen entfachen, dessen Intensität mich verblüfft. »Ja, das ist sie«, sagt Day.
Ich sollte genauso mitgerissen sein. Doch aus irgendeinem Grund erfasst mich bei dem Gedanken, die Republik zum Zusammenbruch zu bringen, noch immer eine Welle der Übelkeit. Ich weiß nicht, ob es an der Gehirnwäsche liegt, daran, dass mir jahrelang die Weltanschauung der Republik eingetrichtert wurde. Doch das Gefühl bleibt, wenn auch zusammen mit einem Anflug von Scham und Selbstverachtung.
Nichts ist mehr so, wie ich es einst kannte.
DAY
Die Ärztin kommt irgendwann kurz nach Mitternacht und beginnt schweigend und routiniert, mich für die Operation vorzubereiten. Razor schiebt einen Tisch aus dem Wohnzimmer in eins der kleineren Schlafzimmer, in dessen Ecken sich alle möglichen Vorräte stapeln – Essen, Nägel, Büroklammern, Wasserkanister und was nicht sonst noch alles. Zusammen mit Kaede breitet die Ärztin eine dicke Plastikplane auf dem Boden aus. Dann schnallen sie mich mit ein paar Gurten auf dem Tisch fest. Die Ärztin legt sorgfältig ihre Metallinstrumente bereit. Mein Bein, nun entblößt, liegt blutend auf dem Tisch. June weicht mir während der ganzen Prozedur keine Sekunde von der Seite und behält die Ärztin scharf im Auge, so als wäre das allein eine Garantie dafür, dass die Frau keine Fehler machen wird. Ich warte ungeduldig. Jeder Moment, der vergeht, bringt mich ein bisschen näher zu Eden. Razors Worte versetzen mich in Aufregung, sobald ich nur daran denke. Wer weiß, vielleicht hätte ich mich tatsächlich schon vor Jahren den
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