Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
mit Mundschutzen beugen sich über mich. Ich spähe zu ihnen hoch. Warum halten sie mich wach? Das Licht ist so grell – ich fühle mich … träge, so als triebe mein Bewusstsein durch ein Meer aus Nebel.
Ich sehe die Skalpelle in ihren Händen. Ein Gewirr von gemurmelten Worten geht zwischen den Ärzten hin und her. Dann spüre ich etwas Kaltes, Metallisches an meinem Knie und das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich mich vor Schmerz aufbäume und versuche zu schreien. Doch es kommt kein Ton aus meinem Mund. Ich will ihnen sagen, dass sie aufhören sollen, mein Knie aufzuschneiden, dann aber bohrt sich etwas in meinen Hinterkopf und der Schmerz lässt meine Gedanken explodieren. Mein Sichtfeld schrumpft zu einem Tunnel aus blendendem Weiß zusammen.
Als ich die Augen öffne, finde ich mich in einem schummrigen Kellerraum wieder, in dem es unangenehm warm ist. Durch irgendeinen grausamen Zufall bin ich noch am Leben. Der Schmerz in meinem Knie treibt mir die Tränen in die Augen, aber ich weiß, dass ich leise sein muss.
Rings um mich herum sehe ich dunkle Silhouetten, die meisten davon auf dem Boden liegend, während Gestalten in Laborkitteln dazwischen herumlaufen und die reglosen Bündel untersuchen. Schweigend warte ich ab, die Augen zu dünnen Schlitzen zusammengekniffen, bis die Menschen, die auf den Beinen sind, den Raum verlassen. Dann stemme ich mich auf die Füße hoch und reiße ein Stück von einem meiner Hosenbeine ab, um mein blutendes Knie zu verbinden. Ich stolpere durch die Dunkelheit, taste mich an der Wand entlang, bis ich eine Tür finde, die nach draußen führt, und schleppe mich in eine schmale Gasse hinter dem Gebäude. Ich trete hinaus ins Licht und diesmal ist June dort, ruhig und gelassen streckt sie mir ihre Hand hin, um mir zu helfen.
»Na komm«, flüstert sie und schlingt mir ihren Arm um die Taille. Ich klammere mich an sie. »Wir stehen das gemeinsam durch, richtig? Du und ich?« Zusammen gehen wir zur Straße und lassen das Krankenhauslabor hinter uns.
Doch die Leute auf der Straße haben alle Edens hellblonde Locken und eine blutrote Strähne, die sich davon abhebt. An jeder Tür, die wir passieren, prangt ein großes X aus roter Sprühfarbe, durch dessen Mitte eine senkrechte Linie verläuft. Es bedeutet, dass jeder hier mit der Seuche infiziert ist. Einem mutierten Virus.
Es kommt mir vor, als irrten wir tagelang durch die Straßen, durch Luft, so dick wie Sirup. Ich suche nach dem Haus meiner Mutter.
Weit in der Ferne sehe ich die funkelnden Städte der Kolonien, die mich zu sich zu locken scheinen, das Versprechen einer besseren Welt und eines besseren Lebens. Ich werde John und Mom und Eden dorthin bringen und wir werden endlich aus den Fängen der Republik befreit sein.
Schließlich stehen wir vor der Haustür meiner Mutter, doch als ich sie öffne, ist das Wohnzimmer verlassen. Meine Mutter ist nicht da. John ist weg. Die Soldaten haben ihn erschossen, fällt mir plötzlich wieder ein. Ich blicke neben mich, doch June ist verschwunden und ich stehe allein in der Tür. Nur Eden ist noch da … er liegt im Bett. Als ich ihm so nahe komme, dass er mich hören kann, schlägt er die Augen auf und streckt die Hände nach mir aus.
Doch seine Augen sind nicht mehr blau. Sie sind schwarz, weil seine Netzhäute bluten.
Langsam, ganz langsam, komme ich wieder zu mir, kämpfe mich aus der Dunkelheit empor. Meine untere Nackenpartie pocht wie nach einer meiner Kopfschmerzattacken. Ich weiß, dass ich nur geträumt habe, und alles, was geblieben ist, ist eine schleichende Angst, eine vage Erinnerung an irgendetwas Schreckliches, das hinter einer verschlossenen Tür lauert.
Mein Kopf ruht auf einem zusammengeknautschten Kissen. Ein Schlauch führt von meinem Arm über den Boden. Alles ist verschwommen. Ich blinzele, um klar sehen zu können, doch ich erkenne nichts als eine Bettkante, Teppichboden und ein Mädchen, dessen Kopf neben mir aufs Bett gesunken ist. Zumindest glaube ich, dass es ein Mädchen ist. Einen Moment lang denke ich, es könnte vielleicht auch Eden sein, dass die Patrioten ihn irgendwie gerettet und hierhergebracht haben.
Die Gestalt bewegt sich. Jetzt sehe ich, dass es Tess ist.
»Hey«, krächze ich. Das Wort dringt undeutlich aus meinem Mund. »Was ist los? Wo ist June?«
Tess greift nach meiner Hand und steht auf, in ihrer Hast stolpert sie über ihre eigenen Worte. »Du bist wach«, sagt sie. »Du bist … Wie fühlst du
Weitere Kostenlose Bücher