Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
zum Luftschiff; die Haupthalle des Landungsdocks ist von Kadetten jeglichen Dienstrangs bevölkert, und nachdem ein Großteil der vorherigen Besatzung das Schiff verlassen hat, beginnt nun deren Ablösung lange Schlangen an den Einstiegsrampen der Dynasty zu bilden. Ich sehe, wie jeder Soldat kurz überprüft wird, Ausweiskontrolle und Leibesvisitation. Tief unter uns versammeln sich immer mehr Kadetten an den Aufzugtüren.
Plötzlich halte ich an.
»Was ist?«, zischt Kaede.
Ich hebe einen Finger. Mein Blick ist auf den Boden gerichtet und verharrt auf einer mir vertrauten Gestalt, die sich einen Weg durch die Menge bahnt.
Thomas.
Dieser Mistkerl muss uns den ganzen Weg von Los Angeles hierher gefolgt sein. Er bleibt immer wieder stehen und befragt scheinbar wahllos die Soldaten. Neben ihm trottet ein Hund mit so weißem Fell, dass es von hier oben wirkt wie eine Signalleuchte. Ich reibe mir die Augen, um mich zu vergewissern, dass ich keine Wahnvorstellungen habe. Nein, er ist noch da. Er drängt sich weiter durch die Menge, eine Hand auf der Waffe an seinem Gürtel, während er mit der anderen die Leine des riesigen weißen Schäferhundes hält. Eine kleine Gruppe von Soldaten folgt ihm. Meine Glieder fühlen sich taub an und mit einem Mal sehe ich nur noch Thomas, der seine Pistole hebt und auf meine Mutter richtet, Thomas, der mich im Verhörraum der Batalla-Zentrale zu Brei prügelt. Rote Sprenkel tanzen vor meinen Augen.
Kaede begreift, was los ist, und sieht ebenfalls hinunter zum Boden der Pyramide. Ihre Stimme holt mich zurück in die Wirklichkeit. »Er ist wegen June hier«, flüstert sie. »Los, weiter jetzt.«
Sofort setze ich mich wieder in Bewegung, obwohl ich am ganzen Körper zittere. »Wegen June?«, flüstere ich zurück. Ich spüre Wut in mir aufsteigen. »Ausgerechnet den Kerl habt ihr auf June angesetzt?«
»Ja, und zwar aus einem ganz bestimmten Grund.«
»Und der wäre?«
Kaede stößt einen ungeduldigen Seufzer aus. »Thomas würde ihr nie etwas tun.«
Bleib ruhig, bleib ruhig, bleib ruhig. Ich zwinge mich weiterzuklettern. Mir bleibt sowieso nichts anderes übrig, als Kaede zu vertrauen. Augen geradeaus. Weiter geht’s. Meine Hände zittern und ich versuche mit aller Kraft, sie still zu halten, meinen Hass hinunterzuschlucken. Ich ertrage die Vorstellung nicht, dass Thomas June in die Finger bekommt. Wenn ich den Gedanken nicht sofort abschüttele, kann ich mich auf nichts anderes konzentrieren.
Bleib. Ruhig.
Unter uns bahnt sich Thomas’ Truppe weiter ihren Weg durch die Menge. Langsam, aber sicher bewegen sie sich auf einen der Aufzüge zu.
Wir erreichen den Rumpf des Luftschiffs. Von hier aus kann ich die Schlangen von Soldaten sehen, die darauf warten, über die Rampen an Bord gelassen zu werden. In diesem Moment höre ich den weißen Schäferhund zum ersten Mal bellen. Thomas und seine Soldaten stehen jetzt an einem der Aufzüge. Demselben, mit dem auch wir raufgefahren sind. Der Hund bellt ununterbrochen, schwanzwedelnd, die Schnauze der Aufzugtür zugewandt.
Augen geradeaus. Weiter geht’s.
Kurz darauf sehe ich wieder nach unten. Thomas presst sich eine Hand ans Ohr beziehungsweise an den sich vermutlich darin befindlichen Kopfhörer. Eine Minute steht er reglos da, als habe er Mühe, das Gehörte zu verstehen. Dann, mit einem Mal, ruft er seinen Männern einen Befehl zu und sie entfernen sich wieder von dem Aufzug. Zurück durch die Massen von Soldaten.
Sie müssen June gefunden haben.
Wir schleichen weiter durch die Schatten in der Spitze der Pyramide, bis wir der dunklen Seitenwand des Schiffsrumpfs nahe genug sind. Gut drei Meter von uns entfernt ragt sie auf und nur eine einsame Metallleiter führt steil nach oben auf das Deck.
Kaede sucht sich einen sicheren Stand auf der Metallstrebe und dreht sich dann zu mir um. »Spring du zuerst. Du bist besser.«
Es ist so weit. Kaede macht mir genug Platz, dass ich mich in einem guten Winkel zum Schiff positionieren kann. Ich bringe meine Füße in Absprungstellung, hole tief Luft, hoffe, dass mein Bein es überstehen wird, und mache einen gewaltigen Satz. Mein Körper kracht mit einem dumpfen Schlag gegen die Sprossen der Leiter und ich muss die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzuschreien. Ein sengender Schmerz durchzuckt mein heilendes Bein. Ich warte ein paar Sekunden, bis er wieder abflaut, und beginne dann zu klettern. Hier, vom Heck des Luftschiffs aus, kann ich Thomas’ Trupp nicht mehr sehen, was –
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