Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
Fantasie ein bisschen freien Lauf zu lassen, und stelle mir vor, wie er mit dem Finger meine Wange entlangfährt und sein Gesicht sich meinem nähert.
Day beugt sich über mein Ohr. »Was hältst du von ihrem Plan?«, flüstert er.
Ich zucke mit den Schultern und schiebe meine Enttäuschung beiseite. Wie albern von mir, in einer solchen Situation davon zu träumen, dass Day mich küsst. »Hat dir inzwischen jemand erzählt, was du dabei tun sollst?«
»Nein. Aber ich gehe davon aus, dass es irgendeine landesweite Ausstrahlung geben wird, in der ich der Republik verkünde, dass ich noch am Leben bin. Ich soll ja schließlich Unruhe stiften, was? Die Leute ein bisschen aufpeitschen.« Day stößt ein trockenes Lachen aus, doch sein Gesicht wirkt nicht, als fände er das wirklich lustig. »Was immer sie von mir verlangen, wenn sie mich dafür zu Eden bringen.«
»Wahrscheinlich.« Ich nicke.
Er zieht mich hoch, sodass wir uns in die Augen sehen können. »Ich weiß nicht, ob sie uns miteinander kommunizieren lassen werden.« Seine Stimme wird so leise, dass ich sie kaum noch hören kann. »Ihr Plan klingt wirklich gut, aber wenn irgendetwas schiefgeht –«
»Ich bin sicher, dass sie mich ziemlich gut im Auge behalten werden«, falle ich ihm ins Wort. »Razor ist immerhin ein Republikfunktionär. Er findet bestimmt einen Weg, mich da rauszuholen, falls alles über uns zusammenbricht. Und was das Kommunizieren angeht …« Ich beiße mir auf die Lippe. »Da lasse ich mir noch was einfallen.«
Day berührt mein Kinn und zieht mich näher, bis seine Nase meine streift. »Wenn irgendwas schiefgeht, wenn du deine Meinung änderst oder wenn du Hilfe brauchst, dann gib mir ein Zeichen, hörst du?«
Seine Worte jagen mir einen Schauer über den Rücken. »Okay«, flüstere ich.
Day nickt kurz, dann löst er sich von mir und lehnt sich zurück in seine Kissen. Ich stoße die Luft aus. »Bist du bereit?«, fragt er. Ich spüre, dass an diesem Satz noch mehr hängt, doch er spricht es nicht aus. Bist du bereit, den Elektor zu ermorden?
Ich zwinge mich zu grinsen. »So bereit, wie es nur geht.«
Lange Zeit bleiben wir so sitzen, bis das Licht, das zum Fenster hereinfällt, immer heller wird und das Morgengelöbnis aus den Lautsprechern der Stadt plärrt. Irgendwann höre ich, wie die Wohnungstür auf- und zugeht, und dann Razors Stimme. Schritte nähern sich dem Zimmer, und gerade als ich mich aufrichte, steckt Razor den Kopf zur Tür herein.
»Wie geht’s dem Bein?«, fragt er Day. Sein Gesicht ist so ruhig wie immer, seine Augen hinter der Brille ausdruckslos.
Day nickt. »Gut.«
»Wunderbar.« Razor lächelt mitfühlend. »Ich hoffe, du hast genug Zeit mit deinem Freund gehabt, June. Wir brechen in einer Stunde auf.«
»Aber die Ärztin hat gesagt, ich soll das Bein noch schonen –«, beginnt Day.
»Tut mir leid«, sagt Razor, schon im Umdrehen. »Unser Luftschiff wartet nicht. Versuch einfach, das Bein noch nicht zu sehr zu belasten.«
DAY
Bevor wir uns auf den Weg machen, verkleiden mich die Patrioten.
Kaede schneidet mir die Haare, sodass sie mir nur noch bis kurz über die Schulter reichen, und färbt die hellblonden Strähnen dann in einem dunklen Braunrot. Sie benutzt dazu eine Art Spray, das sich mit einem speziellen Lösungsmittel wieder entfernen lässt, wenn es sein muss. Razor gibt mir ein Paar braune Kontaktlinsen, die das Blau meiner Augen komplett verschwinden lassen. Niemand außer mir selbst würde auf die Idee kommen, dass die Farbe künstlich ist; ich kann noch immer die winzig kleinen dunkelvioletten Sprenkel in meinen Iris erkennen. Diese Linsen sind eigentlich der pure Luxus, für irgendwelche reichen Lackaffen gedacht, die ihre Augenfarbe ändern wollen – zum Spaß . Auf der Straße hätten mir die Dinger sicher gute Dienste geleistet, wenn ich irgendwie darangekommen wäre. Kaede klebt mir noch eine künstliche Narbe auf die Wange und verleiht meiner Tarnung dann mit der Uniform eines Air-Force-Soldaten in der Grundausbildung den letzten Schliff; es ist ein komplett schwarzer Anzug mit einem roten Streifen außen an jedem Hosenbein.
Als Letztes stattet sie mich mit einem winzigen fleischfarbenen In-Ear-Kopfhörer und einem Mikrofon aus – Ersterer wird unauffällig in meinem Ohr platziert, Letzteres an der Innenseite meiner Wange.
Razor trumpft mit einer maßgeschneiderten Offiziersuniform auf. Kaede trägt ein adrettes Pilotenoutfit, bestehend aus einem schwarzen Overall mit
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