Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
und er ist nie wieder aufgewacht. Nachdem der Vorfall sich im ganzen Korps rumgesprochen und mir meinen Ruf versaut hatte, ließ mich mein Sponsor fallen – und zwar noch nicht mal, weil ich den Typen umgebracht hatte. Aber wer will schon eine Angestellte, eine Kampfpilotin, mit eingeschränkter Sehkraft, trotz Operation.« Sie bleibt stehen und deutet auf ihr rechtes Auge. »Plötzlich war ich ein Mängelexemplar. Mein Wert ist ins Bodenlose gesunken. Na ja, jedenfalls hat die Akademie mich rausgeschmissen, kurz nachdem ich meinen Sponsor verloren hatte. Es war wirklich zum Heulen. Dieser Idiot ist schuld daran, dass ich mein gesamtes letztes Ausbildungsjahr verpasst habe.«
Einige Wörter, die Kaede verwendet, verstehe ich nicht – Korps, Sponsor –, aber ich beschließe, sie ein andermal danach zu fragen. Ich bin mir sicher, dass ich ihr mit der Zeit mehr Informationen über die Kolonien entlocken kann. Im Moment aber will ich erst mal mehr über die Leute erfahren, für die ich jetzt arbeite. »Und dann bist du zu den Patrioten gegangen?«
Sie macht eine wegwerfende Handbewegung und tastet sich dann weiter voran. Wieder fällt mir auf, wie groß Kaede ist, dass ihre Schultern sich auf derselben Höhe befinden wie meine. »Wichtig ist nur, dass Razor mich bezahlt. Und manchmal lassen sie mich sogar fliegen. Aber ich bin wegen des Geldes hier, Kleiner, und solange die Bezahlung stimmt, tue ich, was ich kann, um die Vereinigten Staaten wieder zusammenzuflicken. Wenn dafür die Republik dran glauben muss, von mir aus. Wenn dafür die Kolonien das Land einnehmen müssen, von mir aus. Dieser Krieg muss aufhören und die Staaten gehören vereinigt. Die Menschen müssen wieder ein normales Leben führen können. Darum geht es mir.«
Ich lächele in mich hinein. Auch wenn Kaede sich so betont gleichgültig gibt, merke ich ihr an, wie stolz sie darauf ist, eine Patriotin zu sein. »Tja, Tess scheint dich jedenfalls zu mögen«, entgegne ich. »Also musst du wohl ganz in Ordnung sein.«
Kaede lacht auf. »Sie ist echt ein Schatz, das muss ich zugeben. Bin ich froh, dass ich sie damals bei dem Skiz-Kampf nicht fertiggemacht habe. Wirst schon sehen – es gibt keinen einzigen Patrioten, der nicht total vernarrt ist in sie. Vergiss nur nicht, deiner kleinen Freundin hin und wieder zu zeigen, was sie dir bedeutet. Ich weiß, im Moment bist du eher scharf auf June, aber Tess ist bis über beide Ohren in dich verknallt. Falls du das nicht inzwischen selbst kapiert hast.«
Mein Lächeln erlischt ein wenig. »Ich glaube, in dem Licht habe ich sie einfach noch nie betrachtet«, murmele ich.
»Na, bei ihrer Vergangenheit hat sie ja wohl ein bisschen Liebe verdient, meinst du nicht?«
Ich bleibe stehen und halte Kaede fest. »Sie hat dir von ihrer Vergangenheit erzählt?«
Kaede erwidert meinen Blick. »Hat sie dir etwa nie erzählt, was ihr passiert ist?«, fragt sie, ehrlich überrascht.
»Ich habe es nie aus ihr herausbekommen. Sie ist meinen Fragen immer ausgewichen und nach einer Weile hab ich es aufgegeben.«
Kaede wird ernst. »Wahrscheinlich wollte sie nicht, dass du Mitleid mit ihr hast«, sagt sie schließlich. »Sie war die Jüngste von fünf Geschwistern. Ich glaube, damals war sie neun. Die Eltern konnten es sich nicht leisten, sie alle durchzufüttern, also haben sie sie eines Abends vor die Tür gesetzt und abgeschlossen. Sie hat gesagt, sie hätte tagelang an diese Tür gehämmert.«
Ich kann kaum behaupten, dass mich das überrascht. Die Republik interessiert sich so wenig für ihre Straßenkinder, dass uns keiner auch nur einen zweiten Blick zuwirft – in den ersten Jahren auf der Straße war die Liebe meiner Familie alles, woran ich mich klammern konnte. Und wie es aussieht, hat Tess noch nicht mal das gehabt. Kein Wunder, dass sie am Anfang so anhänglich war. Sie muss das Gefühl gehabt haben, dass ich der einzige Mensch auf der Welt bin, der sich um sie kümmert.
»Das wusste ich nicht«, flüstere ich.
»Tja, jetzt weißt du’s«, erwidert Kaede. »Bleib bei ihr – ihr zwei passt super zusammen, weißt du?« Dann kichert sie. »Beide so verdammt optimistisch. Ich hab noch nie so ein grauenhaft harmonisches Pärchen von Straßenkindern gesehen.«
Ich antworte nicht. Sie hat recht, natürlich – ich habe nie weiter darüber nachgedacht, aber Tess und ich passen wirklich gut zusammen. Sie kennt das Umfeld, aus dem ich stamme, besser als jeder andere. Egal wie deprimiert ich bin, sie schafft es
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