Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
Füße stehen nun sicher auf dem schmalen Sims.
Als die Soldaten schließlich in die Gasse stürmen, bin ich mit den Schatten einer Fensterzarge im zweiten Stock verschmolzen. Ich höre, wie der erste von ihnen stehen bleibt, und dann ihre verwunderten Ausrufe. Jetzt oder nie, denke ich und ziehe mir die Kappe vom Kopf, sodass mein hellblondes Haar bis auf meine Schultern fällt. Einer der Soldaten blickt gerade rechtzeitig hoch, um zu sehen, wie ich das Fensterbrett verlasse, mich um die Ecke des Gebäudes hangele und verschwinde. »Habt ihr das gesehen?«, ruft jemand ungläubig. »War das etwa Day?« Während ich meine Fußspitzen in die Zwischenräume der alten Backsteinmauer ramme und mich in den dritten Stock hinaufziehe, wandelt sich der Tonfall der Soldaten von verwirrt zu wütend. Einer schreit seinen Kameraden zu, mich einfach herunterzuschießen. Ich beiße die Zähne zusammen und erreiche den dritten Stock.
Die ersten Kugeln prallen von der Hauswand ab. Eine schlägt nur wenige Zentimeter neben meiner Hand ein. Ich lasse mich nicht beirren und klettere weiter auf das oberste Stockwerk zu, bis ich mich schließlich mit einer einzigen fließenden Bewegung auf das schräge Dach schwinge. Immer mehr Funken stieben von den Backsteinen unter mir auf. In der Ferne sehe ich den Bahnhof. Der Zug, zur Hälfte in eine dichte Dampfwolke gehüllt, ist inzwischen eingefahren und bis auf ein paar vereinzelte Soldaten, die mit ebendiesem Zug angekommen sind, unbewacht.
Ich husche die Dachschräge hinauf und rutsche auf der anderen Seite wieder hinunter, dann mache ich einen Satz auf das nächste Dach. Unten auf der Straße eilen die ersten Soldaten zurück zum Bahnhof. Vielleicht haben sie mittlerweile begriffen, dass das alles hier bloß ein Ablenkungsmanöver ist. Ich wende den Blick nur dann vom Bahnhof, wenn ich zum Sprung ansetze.
Noch zwei Blocks.
Dann eine Explosion. Von irgendwoher ein Stück die Gleise hinunter schießt eine grelle, wütende Wolke über die Straße und selbst das Dach, auf dem ich stehe, erzittert. Durch die Erschütterung verliere ich das Gleichgewicht und stürze auf die Knie. Das ist die Explosion, von der Pascao geredet hat . Einen Moment lang blicke ich auf das Inferno hinab und denke nach. Vermutlich sind nun eine ganze Menge Soldaten auf dem Weg zum Bahnhof – das ist gefährlich, aber wenn es meine Aufgabe ist, der Republik zu zeigen, dass ich am Leben bin, sollte ich wohl besser dafür sorgen, dass mich so viele Leute wie möglich sehen. Ich stemme mich wieder auf die Füße und renne noch schneller als zuvor, während ich im Laufen meine Haare zurück unter die Kappe stopfe. Die Soldaten unten auf der Straße haben sich in zwei Gruppen aufgeteilt – die eine eilt zurück in Richtung der Explosion, die andere folgt mir.
Kurz entschlossen bleibe ich stehen. Die Soldaten laufen weiter an dem Gebäude entlang, auf dem ich mich befinde. Ohne auch nur eine Sekunde zu verschwenden, rutsche ich das Dach hinunter und schwinge mich über die Kante. Ritze in der Mauer suchen. Stiefel rein. Einer nach dem anderen. Schließlich springe ich auf den Bürgersteig. Die Soldaten haben wahrscheinlich gerade erst bemerkt, dass sie mich verloren haben, trotzdem achte ich darauf, im Schatten der dunklen Gasse zu verschwinden. Zielstrebig laufe ich die Straße hinunter wie ein ganz normaler Soldat. Mein Ziel ist der Zug.
Der Schneeregen wird stärker. Feuerschein erhellt den Nachthimmel und ich bin so nah am Zug, dass ich Rufe und hastige Schritte höre. Konnten Pascao und die anderen sich in Sicherheit bringen? Ich werde schneller. Andere Soldaten tauchen aus dem Schneeregen auf und ich mische mich unter sie, während wir gemeinsam an dem stehenden Zug entlangjoggen. Sie eilen zum Ort der Explosion.
»Was ist passiert?«
»Weiß nicht. Hab gehört, ein Funke hat die Ladung hochgehen lassen.«
»Unmöglich! Die Waggons sind alle abgedeckt –«
»Jemand muss Commander DeSoto rufen. Das war der Angriff der Patrioten. Informieren Sie den Elektor! Sie sind …« Die Soldaten rennen weiter und ich bekomme die zweite Hälfte des Satzes nicht mehr mit.
Ich werde langsamer und lasse mich zurückfallen, dann verschwinde ich blitzschnell in der engen Lücke zwischen zwei Waggons. Alle Soldaten, die ich sehe, sind auf dem Weg zu dem Brand vor uns. Andere sind in dem Gebiet unterwegs, in dem ich die Staubbombe gezündet habe, und diejenigen, die mir auf den Fersen waren, sind wahrscheinlich inzwischen
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