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Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)

Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)

Titel: Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lu
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zurücklässt. Was ihr wohl in diesem Moment durch den Kopf geht? Ich kann nicht länger hinsehen und will mich gerade umdrehen und Pascao folgen, nur weg von dieser Szene.
    Doch dann erregt etwas meine Aufmerksamkeit. Ich blicke wieder hoch zum Bildschirm, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie June zwei Finger an die Augenbraue hebt. Unser Zeichen.
    Es ist kurz nach Mitternacht, als Pascao, ich und drei andere Melder uns jeder einen breiten schwarzen Streifen über die Augen malen und in dunkle Frontuniformen mit dazu passenden Kappen schlüpfen. Dann verlassen wir zum ersten Mal, seit ich dort angekommen bin, das unterirdische Versteck der Patrioten. Hin und wieder begegnen uns vereinzelte Soldaten, doch als wir uns weiter von unserem Bunker entfernen und die Bahngleise überqueren, sehen wir immer mehr Soldatentrupps. Der Himmel ist komplett von Wolken verhangen und im schummrigen Licht der Straßenlaternen sehe ich einen dünnen Vorhang aus Schneeregen fallen. Der Bürgersteig ist glitschig vor Regen und Schneematsch und die Luft riecht abgestanden, nach einer Mischung aus Qualm und Moder. Ich ziehe meinen steifen Kragen höher, schlucke eine von Tess’ blauen Pillen und sehne mich allen Ernstes in die feuchte Hitze der Armenviertel von Los Angeles zurück. Ich taste nach der Staubbombe in meiner Jackentasche, um mich zu vergewissern, dass sie nicht nass geworden ist. In meinem Kopf läuft eine Endlosschleife der Szene zwischen June und dem Elektor.
    Junes Zeichen war für mich bestimmt. Welchen Teil des Plans soll ich stoppen? Will sie, dass ich die Patrioten mit ihrer Mission sitzenlasse und fliehe? Aber wenn ich mich jetzt absetze, was wird dann aus ihr? Das Zeichen könnte eine Million verschiedene Bedeutungen haben. Es könnte sogar heißen, dass sie sich entschlossen hat, wieder zur Republik überzulaufen. Wütend schüttele ich den Gedanken ab. Nein, das würde sie nicht tun. Nicht mal, wenn der Elektor selbst sein Interesse an ihr bekundet hätte ? Würde das etwas ändern?
    Außerdem geht mir nicht aus dem Kopf, dass die Videos von June nie Ton haben. Alle anderen Aufnahmen, die wir bisher zu sehen bekommen haben, verfügten über eine klare Tonspur – Razor hat sogar darauf bestanden, dass die Lautstärke aufgedreht war. Haben die Patrioten den Ton entfernt? Verheimlichen sie etwas?
    In einer dunklen Gasse, nicht weit vom Bahnhof entfernt, bedeutet Pascao uns, stehen zu bleiben. »Der Zug kommt in fünfzehn Minuten«, sagt er und sein Atem formt Wolken in der Luft. »Baxter, Iris, ihr zwei kommt mit mir.« Das Mädchen namens Iris – groß und schlank, mit tiefliegenden Augen, die permanent die Umgebung abzusuchen scheinen – lächelt, Baxter jedoch zieht ein finsteres Gesicht und presst die Kiefer aufeinander. Ich ignoriere ihn und versuche nicht daran zu denken, was er Tess womöglich für Flöhe über mich ins Ohr gesetzt hat. Pascao deutet auf eine weitere Soldatin, ein zartes Mädchen mit kupferroten Zöpfen, das mir immer wieder verstohlene Blicke zuwirft. »Jordan, du lokalisierst den richtigen Waggon.« Jordan hebt den Daumen.
    Dann wendet Pascao sich mir zu. »Day«, flüstert er. »Du weißt, was du zu tun hast.«
    Ich tippe an den Rand meiner Kappe. »Alles klar, Cousin.« Was immer June gemeint haben mag, das hier ist nicht der richtige Moment, um die Patrioten hängen zu lassen. Tess ist in dem Bunker und ich habe immer noch keine Ahnung, wo Eden ist. Die Sicherheit der beiden aufs Spiel zu setzen kommt nicht infrage.
    »Halte die Soldaten ein bisschen bei Laune, okay? Mach sie ordentlich wütend auf dich.«
    »Das ist meine Spezialität.« Ich deute hinauf zu den schrägen Dächern und den verfallenen Mauern, die rings um uns aufragen. Für einen Melder sind diese Dächer wie gigantische Rutschbahnen, die durch das Eis nur noch glatter werden. Im Stillen danke ich Tess – die blaue Pille spendet mir eine so behagliche innere Wärme wie ein Teller heiße Suppe an einem bitterkalten Abend.
    Pascao schenkt mir ein breites Grinsen. »Tja, dann. Heizen wir denen mal ordentlich ein.«
    Ich sehe den anderen hinterher, als sie an den Bahngleisen entlang im Schneeregen verschwinden. Dann ziehe ich mich in die Schatten zurück und studiere die Gebäude. Der Putz ist alt und mit Löchern durchsetzt, die beim Klettern guten Halt bieten, und um das Ganze noch ein bisschen interessanter zu machen, spannen sich rostige Metallbalken kreuz und quer über die pockennarbigen Mauern. Einige Häuser

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