Legend - Fallender Himmel
aber Sie können alles nehmen, was Sie nur wollen. Bitte.« John streckt seine Hand nach mir aus und ergreift meinen Arm. Er hilft mir auf die Beine.
Der Polizist hält kurz inne, um über Johns Angebot nachzudenken. Dann wendet er sich unserer Mutter zu. »Sie da«, ruft er. »Bringen Sie mir alles, was Sie haben. Und dann geben Sie sich bei der Erziehung dieses Bengels ein bisschen mehr Mühe.«
John schiebt mich noch weiter hinter sich. »Er hat es nicht böse gemeint, Sir«, wiederholt er. »Meine Mutter wird ihn für sein Verhalten bestrafen. Er ist jung und weiß es noch nicht besser.«
Ein paar Minuten später kommt meine Mutter mit einem Stoffbündel aus dem Haus gerannt. Der Polizist öffnet es und prüft jeden Geldschein. Ich weiß, dass das fast unsere gesamten Ersparnisse sind. John sagt nichts. Nach einer Weile wickelt der Polizist das Geld wieder ein und steckt es in seine Jackentasche. Dann blickt er meine Mutter an. »Kochen Sie da drin etwa Hühnchen?«, fragt er. »Ganz schöner Luxus für eine Familie Ihres Standes. Verschwenden Sie Ihr Geld immer so?«
»Nein, Sir.«
»Dann bringen Sie mir auch das Hühnchen«, fordert der Polizist.
Mom eilt zurück ins Haus. Sie kommt mit einer fest verknoteten Tüte zurück, in der das in Stofffetzen eingeschlagene Hühnchen liegt. Der Polizist nimmt den Beutel, wirft ihn sich über die Schulter und mustert mich mit einem letzten angewiderten Blick. »Verdammte Drecksgören«, murmelt er. Dann geht er. In der Straße wird es wieder ruhig.
John versucht, etwas zu sagen, um Mom zu trösten, aber sie winkt bloß ab und entschuldigt sich stattdessen bei ihm für das entgangene Festessen. Mich sieht sie kein einziges Mal an. Nach einer Weile läuft sie zurück ins Haus, um sich um Eden zu kümmern, der angefangen hat zu weinen.
Als Mom weg ist, fährt John zu mir herum. Er packt mich bei den Schultern und schüttelt mich heftig durch. »Mach das ja nicht noch mal, hast du mich verstanden? Wehe, wenn ich dich noch einmal bei so was erwische!«
»Ich wollte ihn doch gar nicht treffen!«, schreie ich zurück.
John gibt ein ärgerliches Schnauben von sich. »Das meine ich nicht. Sondern wie du ihn angeguckt hast. Hast du denn überhaupt keinen Funken Verstand? So darf man niemals einen Polizisten angucken, kapiert? Willst du vielleicht, dass wir alle sterben?«
Meine Wange brennt noch immer von dem Messergriff und mein Bauch schmerzt vom Tritt des Polizisten. Ich winde mich aus Johns Griff. »Du hättest mich nicht beschützen müssen«, fauche ich ihn an. »Ich hätte mich schon allein wehren können. Ich hätte zurückgeschlagen.«
John packt mich wieder. »Bist du total verrückt geworden? Jetzt hör mir ganz genau zu, klar? Man wehrt sich nicht'. Niemals. Man tut, was die Polizisten einem sagen, und zwar ohne Widerrede.« Dann verblasst die Wut in seinen Augen ein wenig. »Ich würde eher sterben, als zuzulassen, dass sie dir etwas antun. Hast du das kapiert?«
Ich suche nach irgendeiner lässigen Antwort, aber zu meiner Bestürzung fühle ich bloß, wie mir die Tränen in die Augen steigen. »Tut mir leid, dass dein Hühnchen weg ist«, brabbele ich.
Diese Worte bringen John wider Willen zum Lächeln. »Komm her, Kleiner.« Er seufzt und zieht mich dann in seine Arme. Tränen strömen mir über die Wangen. Ich schäme mich dafür und versuche, wenigstens kein Geräusch zu machen.
Ich bin kein abergläubischer Mensch, aber als ich aus diesem Traum erwache, aus dieser schmerzhaft klaren Erinnerung an John, breitet sich ein entsetzliches Gefühl in meiner Brust aus.
Ich würde eher sterben, als zuzulassen, dass sie dir etwas antun.
Und plötzlich packt mich die Angst, dass seine Worte Wirklichkeit werden könnten.
JUNE
8:00 UHR
SEKTOR RUBY
AUSSENTEMPERATUR: 18°C
Morgen Abend wird Day hingerichtet.
Thomas taucht vor meiner Tür auf. Er lädt mich ins Kino ein, bevor wir uns später am Vormittag in der Batalla-Zentrale melden müssen. »Flagge des Ruhms«, sagt er. »Ich habe nur gute Kritiken gehört.« Es geht um ein Republik-Mädchen, das einen Spion aus den Kolonien entlarvt.
Ich sage Ja. Wenn ich heute Abend John zur Flucht verhelfen will, sollte ich dafür sorgen, dass Thomas mit der Situation zwischen uns zufrieden ist. Kein Grund, schon vorher sein Misstrauen zu wecken.
Die ersten Anzeichen des heraufziehenden Hurrikans (der fünfte in diesem Jahr) machen sich bemerkbar, als Thomas und ich auf die Straße treten - eine unheilvolle Brise,
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