Legend - Fallender Himmel
auf mich ein, aber ich verstehe rein gar nichts.
An den letzten Traum, den ich kurz vor dem Aufwachen hatte, erinnere ich mich jedoch.
Ein sonniger Nachmittag im Lake-Sektor. Ich bin neun. John ist dreizehn und sein erster pubertärer Wachstumsschub hat gerade eingesetzt. Eden ist erst vier, er sitzt auf der Treppe vor unserer Haustür und sieht John und mir beim Straßenhockey zu. Schon in dem Alter ist Eden der Intelligenteste von uns, und anstatt mit uns zu spielen, sitzt er lieber da und bastelt an den Einzelteilen eines alten Turbinenmotors herum.
John schlägt mir den Ball aus zerknülltem Papier zu. Ich erwische ihn knapp mit der äußersten Spitze meines Besenstiels.
»Der war viel zu weit«, beschwere ich mich.
John grinst bloß. »Du musst noch ganz schön an deinen Reflexen arbeiten, wenn du den physischen Test bestehen willst.«
Ich schlage die Papierkugel zurück, so hart ich kann. Sie fliegt an John vorbei und prallt hinter ihm an die Wand. »Du hast deinen Test ja auch bestanden«, kontere ich. »Trotz deiner schlechten Reflexe.«
»Den Ball habe ich absichtlich durchgehen lassen.« Lachend dreht John sich um und joggt zur Wand, um den Ball aufzuheben. Er schnappt ihn sich, bevor der Wind ihn wegwehen kann. Ein paar Passanten hätten ihn beinahe platt getreten. »Ein kleines bisschen Stolz wollte ich dir schließlich noch lassen.«
Es ist ein guter Tag. John hat vor Kurzem eine Stelle im nahe gelegenen Dampfkraftwerk bekommen. Um das zu feiern, hat Mom eins ihrer beiden Kleider und ein paar alte Kochtöpfe verkauft und die ganze letzte Woche über Schichten von ihren Kollegen übernommen. Das zusätzliche Geld reichte gerade so, um ein ganzes Hühnchen zu kaufen. Jetzt, in diesem Augenblick, ist sie im Haus und bereitet es zu - der Duft nach Fleisch und Brühe ist so köstlich, dass wir die Tür ein Stück offen gelassen haben, um auch hier draußen ein wenig davon zu riechen. John ist nicht oft so gut gelaunt wie heute. Ich beschließe, den Moment so gut ich kann auszukosten.
John schlägt mir wieder den Ball zu. Ich stoppe ihn mit meinem Besenstiel und schlage ihn zurück. Ein paar Minuten lang spielen wir schnell und mit vollem Einsatz, keiner von uns schlägt daneben und manchmal machen wir so verrückte Sprünge, um den Ball zu erwischen, dass Eden sich vor Lachen kugelt. Der Duft des Hühnchens erfüllt die Luft. Es ist noch nicht mal heiß heute - alles ist geradezu perfekt. Ich warte eine Sekunde ab, während John losläuft, um den Ball aufzuheben. Im Geiste versuche ich, einen Schnappschuss von diesem Tag zu speichern.
Wir passen uns weiter die Papierkugel zu. Dann mache ich einen Fehler.
Gerade als ich den Ball zu John Zurückschlagen will, kommt ein Straßenpolizist um die Ecke. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Eden aufsteht. Selbst John sieht ihn noch vor mir und hebt die Hand, um mich zu stoppen. Aber es ist zu spät. Ich habe schon ausgeholt und schlage dem Polizisten den Ball mitten ins Gesicht.
Natürlich prallt er harmlos ab - schließlich ist es nur Papier -, doch der Polizist bleibt wie angewurzelt stehen. Sein Blick fliegt zu mir. Ich erstarre.
Bevor einer von uns sich auch nur rühren kann, zieht der Polizist ein Messer aus seinem Stiefel und marschiert auf mich zu. »Glaubst du etwa, mit so was kommst du ungestraft davon, Kleiner?«, ruft er. Er hebt das Messer, um mir den Griff ins Gesicht zu schlagen. Statt mich wegzuducken, bleibe ich einfach stehen und blicke ihn an.
John erreicht den Polizisten, bevor dieser bei mir ankommt. »Sir! Sir!« John springt vor mich und hält beschwichtigend die Hand hoch. »Es tut mir sehr leid«, sagt er. »Das hier ist Daniel, mein kleiner Bruder. Er hat es nicht böse gemeint.«
Der Polizist schubst John aus dem Weg. Der Messergriff knallt mir ins Gesicht. Ich stürze zu Boden. Eden schreit und rennt ins Haus. Ich huste und versuche, den Dreck auszuspucken, den ich plötzlich im Mund habe. Ich kann nicht sprechen. Der Polizist macht einen Schritt auf mich zu und tritt mich in die Seite. Meine Augen treten hervor. Ich krümme mich in Embryonalstellung zusammen.
»Hören Sie auf, bitte!« John rennt wieder zu uns und stellt sich schützend vor mich. Vom Boden aus erhasche ich einen kurzen Blick auf unsere Veranda. Meine Mutter ist aus der Haustür gestürzt und Eden versteckt sich hinter ihr. Sie ruft dem Polizisten verzweifelt etwas zu. John redet weiter flehend auf ihn ein. »Ich ... ich kann Sie bezahlen. Wir haben nicht viel,
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