Legend - Fallender Himmel
keine Falle ist? Day hast du schließlich auch an die Republik verkauft. Vielleicht lügst du mich ja genauso an.«
Taschengeld? Die Patrioten müssen wirklich tiefe Taschen haben. Aber ich nicke bloß. »Du hast jedes Recht, mir gegenüber misstrauisch zu sein«, erwidere ich. »Aber sieh es doch mal so: Wenn du wolltest, könntest du dich jetzt einfach mit zweihunderttausend Noten und einer ziemlich nützlichen Waffe davonmachen und keinen Finger rühren, um mir zu helfen. Ich setze mein ganzes Vertrauen in dich und die Patrioten. Und ich flehe euch an, mir auch zu vertrauen.«
Kaede holt tief Luft. Sie wirkt noch immer nicht ganz überzeugt. »Tja, dann sag mal, was hast du denn vor?«
Mein Herzschlag scheint einen Moment auszusetzen. Ich lächele sie offen an. »Eins nach dem anderen. Days Bruder John. Ich will ihm morgen Abend helfen zu fliehen. Nicht früher als dreiundzwanzig Uhr und nicht später als dreiundzwanzig Uhr dreißig.« Kaede wirft mir einen ungläubigen Blick zu, aber ich übergehe ihn. »Wir könnten seinen Tod vortäuschen - behaupten, John hätte sich mit der Seuche infiziert. Wenn ich ihm morgen Abend helfen kann, aus der Batalla-Zentrale zu fliehen, brauche ich dich und ein paar andere Patrioten, damit ihr ihn aus dem Sektor schmuggelt. Ihn in Sicherheit bringt.«
»Wenn du es schaffst, werden wir da sein.«
»Gut. Mit Day wird es selbstverständlich etwas komplizierter. Seine Hinrichtung ist für übermorgen Abend angesetzt, um Punkt achtzehn Uhr. Zehn Minuten vorher werde ich ihn persönlich auf den Hof vor das Erschießungskommando führen. Mit meinem Dienstausweis habe ich in der Zentrale überall Zugang, es sollte also kein Problem sein, Day durch einen der sechs Hinterausgänge des Ostflügels aus dem Gebäude zu schaffen. Kümmere dich darum, dass dort ein paar Patrioten auf uns warten. Ich gehe davon aus, dass etwa zweitausend Zuschauer zu der Hinrichtung kommen, das heißt, sie werden ziemlich viele Sicherheitskräfte brauchen. Sorgt dafür, dass an den Hinterausgängen so wenige Wachen wie möglich stehen. Lasst euch was einfallen, egal was, um die Soldaten eine Weile abzulenken. Wenn die angrenzenden Straßen nicht allzu streng bewacht sind, hättet ihr eine gute Chance zu entkommen.«
Kaede hebt eine Augenbraue. »Du bist doch lebensmüde. Merkst du eigentlich, wie irrsinnig das alles klingt?«
»Ja.« Ich halte kurz inne. »Aber ich habe keine Wahl.«
»Na ja, erzähl erst mal weiter. Was sind deine Pläne für den Platz?«
»Ablenkung.« Ich blicke Kaede fest in die Augen. »Stiftet ordentlich Unruhe auf dem Vorplatz, so viel Chaos, wie ihr könnt. Genug, dass sie die Soldaten von den Hinterausgängen holen müssen, um die Menge in Schach zu halten - auch wenn es nur für ein paar Minuten ist. Dabei könnte die Elektrobombe ganz nützlich sein. Wenn ihr sie zündet, wird sie um die Batalla-Zentrale herum die Erde zum Beben bringen. Nicht so, dass jemand verletzt wird, aber es wird auf jeden Fall ein bisschen Panik ausbrechen. Und solange die Gewehre im Umkreis funktionsuntüchtig sind, können sie Day nicht erschießen, selbst wenn sie ihn über die Dächer fliehen sehen. Dann müssen sie ihm schon hinterher oder ihr Glück mit ihren Betäubungsgewehren versuchen, aber die sind ziemlich unpräzise.«
»Okay, du Superhirn.« Kaede lacht, ein bisschen zu sarkastisch für meinen Geschmack. »Erklär mir nur eins: Wie zum Teufel willst du es mit Day überhaupt bis zum Ausgang schaffen? Du glaubst doch wohl nicht, dass du die Einzige sein wirst, die Day vor das Erschießungskommando führt. Da werdet ihr doch bestimmt noch von anderen Soldaten flankiert. Verdammt, wenn nicht sogar von einer kompletten Einheit.«
Ich lächele sie an. »Klar werden da noch andere Soldaten sein. Aber wer sagt denn, dass das nicht ein paar getarnte Patrioten sein können?«
Sie antwortet nicht, zumindest nicht mit Worten. Doch ich sehe, wie sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln ausbreitet, und in dem Moment wird mir klar, dass sie mich zwar immer noch für verrückt hält, aber soeben beschlossen hat, mir zu helfen.
DAY
Zwei Nächte vor meinem Hinrichtungstermin habe ich die wirrsten Träume, als ich, gegen meine Zellenwand gelehnt, zu schlafen versuche. An die ersten kann ich mich nicht mehr erinnern. Sie verschmelzen zu einem Brei von vertrauten und fremden Gesichtern, mittendrin etwas, das wie Tess’ Lachen klingt, und noch etwas anderes, das sich wie Junes Stimme anhört. Sie alle reden
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