Legend - Fallender Himmel
Schnitt, wo Kaedes Klinge meine Haut durchstoßen hat, aber glücklicherweise deutet nichts auf eine Infektion hin. Tess hat offenbar wirklich Ahnung von dem, was sie tut.
Der Junge zieht den Rest des alten Verbands von meiner Taille und wirft ihn zur Seite. Dann legt er mir einen neuen an. »Wir bleiben bis morgen Vormittag hier«, informiert er mich währenddessen. »Wir hätten heute nicht so weit laufen sollen, aber es war bestimmt nicht das Schlechteste, so viel Abstand wie möglich zwischen dich und diese Skiz-Meute zu bringen.«
Ich kann nicht anders, ich muss ihm einfach ins Gesicht sehen. Dieser Junge kann seinen Großen Test doch eigentlich nur mit Ach und Krach bestanden haben. Aber das ergibt überhaupt keinen Sinn. Er wirkt kein bisschen wie ein verzweifeltes Straßenkind. Seine Persönlichkeit hat so viele Facetten, dass ich mich zu fragen beginne, ob er wohl schon immer in diesen Armenvierteln gelebt hat. Er blickt mich an und merkt, dass ich ihn mustere. Eine Sekunde lang hält er inne und eine kaum wahrnehmbare Regung huscht über sein Gesicht. Schön. Geheimnisvoll. Er muss sich ganz ähnliche Fragen über mich stellen - wie es mir gelingt, so viele Details aus seinem Leben zu erraten. Vielleicht fragt er sich sogar, was ich wohl als Nächstes über ihn herausfinde. Sein Gesicht ist jetzt so nah an meinem, dass ich seinen Atem an der Wange spüre. Ich schlucke. Er rückt noch ein Stück näher.
Eine Sekunde lang denke ich, er will mich küssen.
Dann sieht er schnell wieder nach unten auf meine Wunde. Seine Hände streifen meine Taille, während er mit seiner Arbeit fortfährt. Ich bemerke, dass auch seine Wangen glühen. Er ist genauso aufgeregt wie ich.
Schließlich fixiert er den Verband, zieht mein Hemd wieder herunter und rückt von mir ab. Er lehnt sich neben mir an die Wand und legt die Arme auf seine angezogenen Knie. »Müde?«
Ich schüttele den Kopf. Meine Augen wandern zu den Kleidern, die ein paar Stockwerke über uns hängen. Wenn uns mal das Verbandszeug ausgehen sollte, könnte ich mir daraus neues machen.
»Ich glaube, ich brauche noch einen Tag, dann kann ich mich wieder allein auf den Weg machen«, sage ich nach einer Weile. »Ich weiß, dass ich euch aufhalte.« Doch noch während die Worte über meine Lippen kommen, verspüre ich Bedauern. Seltsam. Irgendwie will ich die beiden noch gar nicht so schnell wieder verlassen. Mit Tess und diesem Jungen herumzuziehen hat etwas Beruhigendes an sich, so als wäre nach Metias’ Tod doch noch jemand übrig, der sich um mich sorgt.
Was sind denn das für Gedanken? Das hier ist ein Junge aus den Slums! Ich bin bestens darin ausgebildet, wie man mit solchen Typen umgeht, und habe gelernt, dass man sie am besten durch eine Glasscheibe hindurch betrachtet.
»Wo willst du denn hin?«, fragt der Junge.
Blitzschnell sammele ich mich. Meine Stimme klingt kühl und besonnen. »Nach Osten vielleicht. In den inneren Sektoren kenne ich mich besser aus.«
Der Junge hält seinen Blick weiter geradeaus gerichtet. »Dann kannst du genauso gut noch bleiben, wenn deine Pläne nur darin bestehen, irgendwo anders durch die Straßen zu ziehen. Eine Kämpferin wie dich kann ich gut gebrauchen. Wir könnten eine ganze Menge Geld bei Skiz-Kämpfen machen und unsere Essensvorräte teilen. So hätten wir alle was davon.«
Er unterbreitet mir dieses Angebot mit so viel Aufrichtigkeit, dass ich lächeln muss. Ich beschließe, ihn nicht zu fragen, warum er nicht selbst bei den Skiz-Kämpfen mitmacht. »Danke, aber ich schlage mich lieber allein durch.«
Er zögert keine Sekunde. »Auch gut.« Und damit lehnt er den Kopf an die Wand, seufzt und schließt die Augen. Ich beobachte ihn noch einen Moment und warte darauf, dass er der Welt noch einmal seine leuchtenden Augen zeigt. Aber das tut er nicht. Nach einer Weile höre ich, wie seine Atemzüge gleichmäßig werden, sehe, wie sein Kopf nach vorne sinkt, und weiß, dass er eingeschlafen ist.
Ich überlege, Thomas zu kontaktieren. Aber mir ist jetzt nicht danach, seine Stimme zu hören. Warum, kann ich gar nicht sagen. Dann eben morgen früh, als Allererstes. Ich lege ebenfalls den Kopf zurück und starre zu den Kleidern hinauf, die über uns hängen. Abgesehen von den fernen Geräuschen der Nachtschichtarbeiter und dem gelegentlichen Plärren der JumboTrons ist es ein sehr friedlicher Abend, fast wie zu Hause. Die Stille lässt mich an Metias denken.
Ich achte darauf, dass mein Weinen nicht Tess und den
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