Legend - Fallender Himmel
höre ich schon die Sirenen der Krankenwagen, die langsam lauter werden.
Sie kommen, um Eden zu holen.
Ich fasse einen Entschluss. Ich krabbele unter der Veranda hervor und husche zur Hintertür. Hier draußen sind die Sirenen schon viel lauter. Sie kommen näher. Ich reiße die Tür auf und stürme die Treppe hoch in unser Wohnzimmer.
Ich hole tief Luft.
Dann stoße ich die Tür zum Schlafzimmer auf und trete ins Licht.
Meine Mutter stößt einen erschrockenen Schrei aus. John wirbelt zu mir herum. Einen Moment lang stehen wir einfach da und starren einander an, keiner weiß, was er tun soll.
»Was ist los?« Seine Wangen werden bleich, als er mein Gesicht sieht. »Was machst du hier? Sag mir, was los ist.« Er versucht, seine Stimme ruhig klingen zu lassen, aber er weiß, dass etwas passiert sein muss - etwas so Schlimmes, dass ich gezwungen bin, mich meiner ganzen Familie zu zeigen.
Ich nehme die abgetragene Mütze vom Kopf. Mein Haar fällt mir in wirren Strähnen bis auf die Schultern. Mom hebt eine bandagierte Hand an ihren Mund. Argwohn tritt in ihre Augen, dann werden sie kreisrund.
»Ich bin’s, Mom«, sage ich schließlich. »Daniel.«
Ich sehe, wie in ihrem Gesicht die verschiedensten Emotionen aufflackern - Unglaube, Freude, Verwirrung -, bevor sie einen Schritt auf mich zu macht. Ihr Blick huscht zwischen John und mir hin und her. Ich weiß nicht, was für sie der größere Schock ist: dass ich am Leben bin oder dass John es die ganze Zeit gewusst hat.
»Daniel?«, flüstert sie.
Es ist eigenartig, sie meinen alten Namen sagen zu hören. Schnell greife ich nach Moms verletzten Händen. Sie zittern. »Keine Zeit für Erklärungen.« Ich versuche, den Blick in ihren Augen zu ignorieren. Sie waren einmal von einem kräftigen, leuchtenden Blau, genau wie meine, aber der Kummer hat sie ausbleichen lassen. Wie tritt man einer Mutter gegenüber, die geglaubt hat, man wäre seit Jahren tot? »Sie kommen, um Eden zu holen. Ihr müsst ihn verstecken.«
»Daniel?« Ihre Finger streichen mir das Haar aus den Augen. Plötzlich bin ich wieder ihr kleiner Junge. »Mein Daniel. Du lebst. Das muss ein Traum sein.«
Ich fasse sie bei den Schultern. »Mom, hör zu. Die Seuchenpolizei ist unterwegs hierher, mit einem Krankenwagen. Was auch immer Eden für ein Virus hat ... sie kommen, um ihn zu holen. Wir müssen euch alle in Sicherheit bringen. Und zwar schnell.«
Einen Moment lang blickt sie mich wortlos an, dann nickt sie. Sie führt mich zu Edens Bett. Aus der Nähe erkenne ich, dass Edens dunkle Augen sich seltsam schwarz verfärbt haben. Sie reflektieren keinerlei Licht und ich begreife mit Grauen, dass sie schwarz wirken, weil seine Netzhäute bluten. Mom und ich helfen ihm behutsam, sich aufzusetzen. Edens Haut ist glühend heiß. John hebt ihn vorsichtig auf seine Schulter und flüstert ihm beruhigend etwas zu.
Eden stößt einen kleinen Schmerzenslaut aus und sein Kopf sinkt kraftlos gegen Johns. »Die beiden Schaltkreise verbinden«, murmelt er.
Draußen heulen noch immer die Sirenen - sie können jetzt nur noch ein paar Blocks entfernt sein. Ich wechsele einen verzweifelten Blick mit meiner Mutter.
»Unter die Veranda«, flüstert sie. »Zum Weglaufen ist es zu spät.«
Weder John noch ich widersprechen.
Mom greift nach meiner Hand und hält sie fest. Wir verlassen das Haus durch die Hintertür. Draußen bleibe ich einen Moment stehen, um zu lauschen, aus welcher Richtung die Sirenen kommen und wie weit sie noch entfernt sind.
Sie sind fast da.
Ich renne zur Veranda und schiebe das Brett zur Seite.
»Eden zuerst«, flüstert Mom.
John rückt Eden auf seiner Schulter zurecht, dann kniet er sich hin und kriecht in den Hohlraum. Als Nächstes helfe ich Mom hinein. Dann rutsche ich hinterher, verwische noch schnell die Spuren, die wir in der Erde hinterlassen haben, und schiebe das Brett sorgfältig zurück an seinen Platz. Ich hoffe, sorgfältig genug.
Wir drücken uns in die dunkelste Ecke, wo wir einander kaum noch erkennen können. Ich starre auf die Lichtstrahlen, die durch die Lüftungsschlitze dringen. Sie unterteilen den erdigen Boden wie ein Raster und ich kann gerade noch so die zerdrückten Seeschlüsselblumen ausmachen. Für einen kurzen Moment scheinen sich die Sirenen der Militärkrankenwagen zu entfernen - sie müssen irgendwo einen Bogen fahren - und dann, urplötzlich, ist das Heulen ohrenbetäubend laut. Schwere Schritte folgen.
Verdammte Mistkerle! Sie haben vor unserem
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