Legend - Fallender Himmel
seine Kniescheibe anvisiert), aber sie versenkt sich in das Fleisch an der Außenseite seines Oberschenkels. Day stößt einen Schmerzensschrei aus und bricht dann, von Soldaten umzingelt, zusammen. Die Mütze rutscht ihm vom Kopf und seine blonden Haare kommen darunter zum Vorschein. Einer der Soldaten versetzt ihm einen so heftigen Tritt, dass er das Bewusstsein verliert. Dann legen sie ihm Handschellen und eine Augenbinde an, knebeln ihn und schleifen ihn zu den wartenden Jeeps.
Ich brauche einen Moment, bis mir der andere Gefangene wieder einfällt, den wir aus dem Haus gezerrt haben, ein junger Mann, vermutlich Days Bruder oder Cousin. Er brüllt irgendetwas, das ich nicht verstehe. Die Soldaten zwingen ihn in den zweiten Jeep.
Thomas wirft mir über seinem Mundschutz einen anerkennenden Blick zu, aber Commander Jameson mustert mich bloß mit gerunzelter Stirn. »Jetzt ist mir klar, warum Sie an der Drake als Unruhestifterin bekannt waren«, sagt sie. »Aber Sie sind jetzt nicht mehr auf dem College. Meine Entscheidungen werden nicht infrage gestellt.«
Ein Teil von mir will sich entschuldigen, aber ich bin zu fassungslos über das, was gerade passiert ist, zu wütend oder verängstigt oder erleichtert. »Aber was ist mit unserem Plan? Commander, bei allem Respekt, aber es war nie die Rede davon, dass Zivilisten getötet werden.«
Commander Jameson stößt ein harsches Lachen aus. »Ach, Iparis«, erwidert sie kopfschüttelnd. »Wir hätten bis heute Nacht hier gestanden, wenn wir versucht hätten, mit ihm zu verhandeln. Sie haben doch gesehen, wie viel schneller es auf diese Weise ging. Wie schnell unser Zielobjekt seine Meinung geändert hat.« Sie wendet sich von mir ab. »Aber genug davon. Steigen Sie ein. Wir fahren zurück in die Zentrale.« Sie macht eine knappe Geste mit ihrer Hand und Thomas bellt einen Befehl. Die übrigen Soldaten formieren sich eilig. Dann steigt Commander Jameson in den vorderen Jeep.
Thomas kommt zu mir und tippt sich an die Mütze. »Gratuliere, June.« Er lächelt. »Sie haben es wirklich geschafft. Was für ein Erfolg! Haben Sie Days Gesicht gesehen?«
Du hast gerade jemanden getötet. Ich bringe es nicht über mich, Thomas in die Augen zu sehen. Bringe es nicht über mich, ihn zu fragen, wie er Befehle dermaßen blind befolgen kann. Mein Blick wandert zu der Stelle, wo die Leiche der Frau auf dem Pflaster liegt. Die drei verwundeten Soldaten sind bereits von Sanitätern umringt und ich weiß, dass sie behutsam in den Krankenwagen verfrachtet und zurück zum Stützpunkt gefahren werden. Die Leiche der Frau dagegen liegt unbeachtet und vergessen auf der Straße. In den Fenstern der umliegenden Häuser sind ein paar Köpfe erschienen. Einige von ihnen sehen die Leiche und wenden sich schnell wieder ab, während andere Thomas und mich verschreckt beäugen. Ein winziger Teil von mir möchte darüber lächeln und sich freuen, dass ich den Tod meines Bruders gerächt habe. Ich warte, aber das Gefühl bleibt aus. Ich balle die Hände zu Fäusten und öffne sie wieder. Beim Anblick der Blutlache, die sich unter der Frau ausbreitet, wird mir schlecht.
Denk daran, schärfe ich mir ein, Day hat Metias ermordet. Day hat Metias ermordet, Day hat Metias ermordet. Die Worte hallen leer und unbestimmt durch meinen Kopf.
»Ja«, sage ich zu Thomas. Meine Stimme klingt, als gehörte sie einer Fremden. »Ich habe es geschafft.«
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TEIL ZWEI
DAS MÄDCHEN, DAS DAS
GLAS ZERSCHMETTERT
DAY
Die Welt ist ein verschwommener Nebel. Ich erinnere mich an Waffen und laute Stimmen und Eiswasser, das mir ins Gesicht klatscht. Manchmal erkenne ich das Geräusch eines Schlüssels, der sich in einem Schloss dreht, und den metallischen Geruch von Blut. Gasmasken starren auf mich herab. Irgendjemand hört nicht auf zu schreien. Eine Sirene heult ununterbrochen. Ich will sie abstellen und versuche, den Schalter zu finden, aber ich kann meine Arme nicht bewegen. Ein entsetzlicher Schmerz in meinem linken Bein sorgt dafür, dass meine Augen und Wangen nass vor Tränen sind. Vielleicht ist mein Bein jetzt ganz hin.
Wieder und wieder sehe ich den Augenblick vor mir, als der Captain meine Mutter erschossen hat, wie einen Film, der bei einer Szene hängen geblieben ist. Ich verstehe nicht, warum sie nicht zur Seite gesprungen ist. Ich schreie sie an, dass sie sich bewegen soll, ducken, irgendwas. Aber sie bleibt einfach stehen, bis die Kugel sie trifft und sie zu Boden sinkt. Ihr Gesicht ist mir
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