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Legend - Fallender Himmel

Titel: Legend - Fallender Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lu
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zugewandt ... aber es ist nicht meine Schuld. Nein .

    Nach einer Ewigkeit lichtet sich der Nebel. Wie lange ist das alles her, vier Tage, fünf? Oder einen Monat? Ich habe keine Ahnung. Als ich endlich die Augen aufmache, sehe ich, dass ich mich in einer kleinen, fensterlosen Zelle mit vier stählernen Wänden befinde. Auf beiden Seiten der kleinen Tür, die aussieht wie eine Tresorluke, stehen Soldaten. Ich ziehe eine Grimasse. Meine Zunge ist völlig ausgedörrt und fühlt sich rissig an. Die Haut in meinem Gesicht spannt vor getrockneten Tränen. Etwas, das sich anfühlt wie Handschellen, hält meine Hände straff hinter meinem Rücken zusammen und ich brauche eine Sekunde, bis mir klar wird, dass ich sitze. Mein Haar hängt mir in verfilzten Strähnen ins Gesicht. Auf meiner Jacke sind Blutflecken. Plötzlich durchzuckt mich Panik: Meine Mütze. Meine Tarnung ist weg.
    Dann wird mir der Schmerz in meinem linken Bein wieder bewusst. Er ist schlimmer als alles, was ich je erlebt habe, schlimmer noch als der Schmerz, als ich zum ersten Mal am Knie verletzt wurde. Mir bricht kalter Schweiß aus und an den Rändern meines Gesichtsfeldes tanzen Sternchen. Ich würde alles geben für eine einzige Schmerztablette oder Eis, das das Brennen in meinem verletzten Oberschenkel lindert, oder sogar für eine weitere Kugel, die mich von meinen Qualen erlöst. Tess, ich brauche dich. Wo bist du?
    Als ich einen Blick auf mein Bein riskiere, sehe ich, dass es mit einem dicken, blutdurchtränkten Verband umwickelt ist.
    Einer der Soldaten merkt, dass ich mich bewege. Er drückt sich die Hand aufs Ohr. »Er ist wach, Ma’am.«
    Minuten später - vielleicht auch Stunden - schwingt die Stahltür auf und die Frau, die den Befehl gegeben hat, meine Mutter zu töten, kommt herein. Sie trägt volle Uniform, mit Umhang und allem, was dazugehört, und ihr Rangabzeichen mit den drei Pfeilen glänzt silbern im Neonlicht. Strom. Ich muss in einem Regierungsgebäude sein. Sie sagt etwas zu den Soldaten auf der anderen Seite der Tür. Dann schließt sie sie hinter sich und schlendert lächelnd auf mich zu.
    Ich bin nicht sicher, ob es der Schmerz in meinem Bein ist, der vor meinen Augen roten Nebel entstehen lässt, oder die Wut, die ihr Anblick in mir auslöst.
    Die Frau bleibt vor meinem Stuhl stehen und beugt sich dann ganz nah zu meinem Gesicht herunter. »Mein lieber Junge«, sagt sie. Ich höre die Belustigung in ihrer Stimme. »Ich bin ganz aufgeregt, seit ich gehört habe, dass du aufgewacht bist. Da musste ich gleich herkommen und mich selbst davon überzeugen. Du kannst dich wirklich glücklich schätzen - die Ärzte sagen, du bist seuchenfrei, selbst nachdem du mit diesem infizierten Gesindel, das du deine Familie nennst, zusammengehockt hast.«
    Ich reiße den Kopf zurück und spucke sie an. Doch schon diese kleine Bewegung sendet einen weiß glühenden Schmerz mein Bein hinauf und bringt es zum Zittern.
    »Was für ein hübscher junger Mann.« Sie schenkt mir ein Lächeln, das vor Gift geradezu trieft. »Zu schade, dass du dich für ein Leben als Verbrecher entschieden hast. Du hättest eine Berühmtheit werden können, weißt du, mit diesem Gesicht. Jedes Jahr eine kostenlose Seuchenimpfung. Na, wäre das nichts gewesen?«
    Ich würde ihr die Haut vom Gesicht reißen, wenn ich nicht gefesselt wäre. »Wo sind meine Brüder?« Meine Stimme ist nur ein heiseres Krächzen. »Was haben Sie mit Eden gemacht?«
    Die Frau lächelt mich bloß weiter an und schnippt mit den Fingern in Richtung der Soldaten hinter ihr. »Glaub mir, ich würde liebend gern noch ein bisschen bleiben und mit dir plaudern, aber ich muss jetzt eine Trainingsstunde leiten. Außerdem gibt es eine Person, die sehr viel mehr darauf brennt, dich wiederzusehen, als ich. Sie wird ab hier übernehmen.« Sie verlässt die Zelle ohne ein weiteres Wort.
    Dann betritt jemand anderes - kleiner und zarter - mit wehendem schwarzem Umhang die Zelle. Ich brauche eine Minute, um sie zu erkennen. Keine zerrissene Hose oder dreckverkrusteten Stiefel mehr, kein Schmutz im Gesicht. Das Mädchen ist jetzt sauber und wie auf Hochglanz poliert, das dunkle Haar hat es zu einem hohen, glänzenden Pferdeschwanz gebunden. Sie trägt eine schicke Uniform: goldene Epauletten mit weißen Kordeln leuchten auf den Schultern ihrer Uniformjacke und auf beiden Ärmeln prangt ein Abzeichen mit zwei Pfeilen. Der Umhang reicht ihr bis zu den Füßen und hüllt sie in goldgesäumtes Schwarz. Die oberen

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