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Legend - Fallender Himmel

Titel: Legend - Fallender Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lu
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plötzlich schwer.
    Seine Worte hallen durch meine Gedanken, bis sie keinen Sinn mehr ergeben. Jemand anders hat Metias getötet. Die Republik selbst verbreitet in den Armensektoren die Seuche. Ich denke zurück an unsere gemeinsame Zeit in den Straßen von Lake, als er seine eigene Sicherheit aufs Spiel setzte, weil ich mich ausruhen musste. Dann an heute, als er mir die Tränen von der Wange wischte.
    Die Wut, die ich einst auf ihn hatte, ist wie weggeblasen. Und wenn ich einen Beweis dafür finde, dass jemand anders Metias getötet hat, dann habe ich auch keinen Grund mehr, Day zu hassen. Früher einmal war ich fasziniert gewesen von den Legenden, die Day umgaben - von all den Geschichten, die ich über ihn gehört hatte, bevor ich ihm begegnet bin. Jetzt spüre ich, wie diese Faszination zurückkehrt. Ich stelle mir sein Gesicht vor, so schön, selbst nach all dem Schmerz, den Qualen und der Trauer, seine blauen Augen, so klar und ehrlich. Ich schäme mich, mir einzugestehen, wie sehr ich die kurze Zeit mit ihm in seiner Zelle genossen habe. Seine Stimme lässt mich all die Dinge, die mir durch den Kopf wirbeln, vergessen und füllt meine Gedanken stattdessen mit Verlangen oder Angst, manchmal sogar Ärger, aber sie löst jedes Mal etwas aus. Etwas, das vorher nicht da gewesen ist.

    19:12 UHR
SEKTOR TANAGASHI
26°C
    »Ich habe gehört, Sie haben heute Nachmittag unter vier Augen mit Day geplaudert«, sagt Thomas. Wir sitzen in dem Imbiss, zu dem wir immer gegangen sind, als Metias noch lebte. Doch auch die vertraute Umgebung sorgt nicht dafür, dass ich ruhiger werde. Ich kann einfach nicht aufhören, an das Schmierfett am Griff des Messers zu denken, mit dem mein Bruder getötet wurde.
    Vielleicht will Thomas mich auf die Probe stellen. Vielleicht weiß er von meinem Verdacht.
    Ich esse ein Stück Schweinefleisch, damit ich nicht antworten muss. Ich bin froh, dass wir ein gutes Stück voneinander entfernt sitzen. Thomas hat sich ziemlich ins Zeug gelegt, damit ich ihm verzeihe und er mich zum Abendessen einladen durfte. Warum ihm so viel daran liegt, weiß ich nicht. Will er mir irgendwas entlocken? Denkt er, ich könnte mich verplappern? Hat er gehofft, ich würde ablehnen, damit er mit dieser Information direkt zu Commander Jameson laufen kann? Man braucht nicht besonders viele Indizien, um Ermittlungen gegen jemanden einzuleiten. Vielleicht war seine Einladung nur ein Vorwand für ein kleines Verhör. Andererseits kann es natürlich auch sein, dass er wirklich nur versucht, alles wiedergutzumachen.
    Ich weiß es nicht. Also bleibe ich auf der Hut.
    Thomas sieht mir beim Essen zu. »Was haben Sie zu ihm gesagt?« In seiner Stimme liegt Eifersucht.
    Meine Antwort klingt kühl und gelassen. »Machen Sie sich keine Gedanken, Thomas.« Ich strecke die Hand aus und berühre seinen Arm, um ihn abzulenken. »Wenn irgend so ein Junge einen Menschen getötet hätte, den Sie lieben, würden Sie da nicht auch alles daransetzen zu erfahren, warum er es getan hat? Ich dachte, er würde vielleicht mit mir reden, wenn keine Wachen dabei sind. Aber ich hab’s aufgegeben. Wahrscheinlich geht es mir erst besser, wenn er tot ist.«
    Thomas entspannt sich ein wenig, studiert aber weiterhin mein Gesicht. »Vielleicht sollten Sie ihn nicht mehr besuchen«, schlägt er nach einem langen Moment des Schweigens vor. »Es scheint Sie ja nicht weiterzubringen. Ich kann Commander Jameson bitten, jemand anderen abzukommandieren, der Day seine Wasserrationen bringt. Es gefällt mir nicht, dass Sie so viel Zeit mit dem Mörder Ihres Bruders verbringen müssen.«
    Ich gebe nickend mein Einverständnis und nehme einen weiteren Bissen von meinem Essen. Jetzt darauf nichts zu erwidern, würde keinen guten Eindruck machen. Was, wenn ich hier mit dem Mörder meines Bruders zu Abend esse? Logik. Wachsamkeit und Logik. Aus dem Augenwinkel sehe ich Thomas’ Hände. Was, wenn dies die Hände sind, die Metias ein Messer ins Herz gerammt haben?
    »Sie haben recht«, sage ich, ohne zu zögern. Ich achte darauf, dankbar und besonnen zu klingen. »Bis jetzt habe ich nichts Brauchbares aus ihm herausbekommen. Außerdem wird er sowieso bald tot sein.«
    Thomas zuckt mit den Schultern. »Ich bin froh, dass Sie das auch so sehen.« Er lässt einen Fünfzignotenschein auf den Tisch fallen, als der Kellner vorbeikommt. »Day ist nichts weiter als ein Verbrecher, der auf seine Hinrichtung wartet. Jemand von Ihrem Stand sollte sich nicht dafür interessieren,

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