Legende von Eli Monpress 02 - Herr des Windes
Doch die Bäume vor dem Fenster bewegten sich kein bisschen.
»Slorn«, sagte sie leise. »Das Wetter schlägt um.«
Eli musterte sie verwirrt. Gewöhnlich redete Pele nicht in solch bedeutungsschweren Worten über das Wetter. Slorn allerdings erstarrte sofort und bewegte lauschend die Ohren.
»Du hast recht«, sagte er, auf der Stelle genauso ernst wie sie. »Der Luftdruck verändert sich.« Er sah Eli an. »Ihr habt den Mantel, also verschwindet ihr jetzt. Das Wetter schlägt hier ziemlich schnell um. Wir müssen das Haus verlagern.«
»Wenn du es sagst.« Eli hatte das unangenehme Gefühl, etwas Wichtiges verpasst zu haben. »Ist ja nicht so, als hätten wir hier noch viel zu tun.«
Es kostete sie ungefähr fünf Minuten, ihre Habseligkeiten wieder einzusammeln. Die Küche packte ihnen eine Tüte mit Sandwiches und Früchten, die Eli mit so überschwänglichem Dank entgegennahm, dass die Küchentresen quasi vor Glück zitterten. Josef sammelte in der Zwischenzeit misstrauisch seine Messer ein, während er Slorn und Pele beobachtete, die durchs Haus gingen, um Schränke zu verriegeln und Fenster zu schließen. Eli machte ihm das nicht zum Vorwurf. Es war schwer, bei strahlend blauem Himmel die Bedrohung eines Sturms zu empfinden.
Aber als sie die Treppe nach unten kletterten und ins trockene Bachbett traten, konnte auch Eli es spüren. Der Luftdruck fiel so heftig, dass es ihm in den Ohren wehtat, und auch wenn die Luft ruhig war, konnte er doch Regen riechen. Die Wolken hoch über ihnen bewegten sich schnell.
Slorn und Pele brachten sie noch an den Waldrand, aber sobald Eli, Nico und Josef in den Schatten der Bäume getreten waren, drehten sich ihre Gastgeber um und gingen ohne einen Blick zurück ins Haus, als versuchten sie absichtlich, nicht zu sehen, welche Richtung ihre Gäste einschlugen.
Sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, erzitterte das Haus. Es knirschte laut, dann begann sein Fundament, sich zu bewegen. Die vier dürren Beine streckten sich, und die Krallen an den Hühnerbeinen gruben sich in den Boden. Sie lehnten sich erst vor, dann zurück, sodass das Haus auf ihnen tänzelte wie ein Schiff auf dem Meer. Eli wurde schon allein vom Zusehen schlecht. Dann, als alle vier Beine gedehnt waren, zitterte das Haus kurz und machte einen Schritt vorwärts. Die Oberfläche der hölzernen Beine hob und senkte sich, als lägen Muskeln darunter, und dann ging das Haus mit großen Schritten durch das ausgetrocknete Bachbett davon und verschwand mit erstaunlicher Geschwindigkeit im Wald. Zurück blieb nur eine dünne Fahne Kaminrauch. Fußabdrücke waren nicht zu sehen.
Josef pfiff anerkennend, während sie beobachteten, wie der Rauch hinter den Bäumen verschwand. »Kein Wunder, dass der Bastard so schwer zu finden war.« Er sah Eli an. »Also, du bist sein Freund; sind Stürme hier wirklich so gefährlich, oder hat der Bärenmann sich nur was ausgedacht, um uns loszuwerden?«
»Ich glaube nicht, dass es das war«, sagte Eli leise, während er nach Süden schaute. Dort, am fernen Horizont, der über die Bäume hinweg kaum sichtbar war, bildete sich die schwarze Wolkenwand eines Sturmes. Das war nicht ungewöhnlich; das Wetter in den Bergen wechselte schnell. Trotzdem stimmte irgendetwas nicht. Die Wolken vor dem Sturm wurden nach Süden geweht, und doch bewegten sich die dunklen Sturmwolken gegen den Wind direkt nach Norden, und das sehr schnell.
»Kommt«, sagte Eli. »Ich glaube nicht, dass wir noch hier sein möchten, wenn das hier ankommt.«
Josef nickte und wandte sich nach Osten, dem Bachbett folgend. Sie gingen so schnell, wie es ihnen auf dem losen Sand möglich war. Hinter ihnen rollte der Sturm heran, bog dann jedoch nach Westen ab, in dieselbe Richtung, die Slorns Haus eingeschlagen hatte.
Das Haus auf Beinen hielt an einer steinernen Klippe am Rande des Erweckten Waldes an. Es drehte sich zweimal im Kreis, dann kauerte es sich an die Kante der Klippe. Sobald es zu schwanken aufgehört hatte, öffnete Slorn mit undurchschaubarer Miene auf seinem Bärengesicht die Tür und stampfte die klapprige Treppe nach unten. Pele war direkt hinter ihm, und sie nahmen ihre Position auf dem armseligen Feld ein, das zur Klippe führte.
Der Sturm rollte über den Wald hinweg. Fast ständig erhellten ihn große Bögen blauweißer Blitze von innen. Der Wind warf im Vorbeirauschen die Baumwipfel zur Seite, doch es fiel kein Regen. Slorn und Pele lehnten sich gegen den Wind, als er heulend
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