Legende von Eli Monpress 02 - Herr des Windes
als er näher kam. Nichts an ihm wirkte bedrohlich. Doch er war ein Fremder, der aus dem Nichts erschienen war, und sie war ein gesuchter Flüchtling. Doch in dem Moment, als ihr dieser Gedanke kam, fühlte sie sich fast schon dumm. Jeder konnte sehen, dass dieser Mann nicht vom Geisterhof geschickt worden war. Wäre die Abwesenheit jeglicher Ringe nicht Beweis genug gewesen, gab es noch die Tatsache, dass er gerade ohne jedes Zeichen von Angst an eine Spiritistin herantrat, deren gesamte Geister in Habtachtstellung waren. Das allein zerstreute schon alle ihre Befürchtungen. Doch es blieb die Frage: Wer war er, und was war er?
Der Wind toste weiterhin um sie herum und übertönte alle anderen Geräusche. Er trieb den Sand in Wellen vor sich her und brachte die Robe des Mannes zum Flattern, auch wenn sie sich wundersamerweise nie um seine Arme wickelte oder seine Schritte beeinträchtigte. Schließlich erreichte der Mann Mirandas Feuer, setzte sich elegant wie ein Gast bei einem Bankett und machte eine Geste mit der Hand.
In dem Moment, in dem sich seine Finger bewegten, erstarb der Wind. In der plötzlichen Stille streckte er Miranda seine Hand entgegen.
»Bitte«, meinte er mit einem Lächeln. »Setz dich.«
Miranda rührte sich nicht. Es brauchte einen Magier mit sehr starkem Willen, um mit Wind zu arbeiten, und sie hatte nicht vor, ihm eine Blöße zu bieten, nur weil er höflich war. »Wer seid Ihr?«
»Jemand, der Euch helfen will, Spiritistin Lyonette«, erklärte der Mann freundlich.
»Wenn Ihr so viel wisst«, antwortete Miranda und entspannte sich ein wenig, »dann solltet Ihr auch wissen, dass es jetzt nur noch Miranda heißt. Mein Titel wurde mir letzte Woche entzogen.«
»So hat man mir berichtet«, sagte der Mann. »Aber die Mächte, die ich vertrete, interessiert das kaum.« Er gab ihr wieder ein Zeichen. »Bitte, setzt Euch.«
Inzwischen war Miranda neugierig geworden. Langsam ließ sie sich an der Wand nach unten rutschen, bis sie dem Mann auf der anderen Seite des Feuers gegenübersaß.
»Es tut mir leid«, sagte der Mann, nahm seine Brille ab und säuberte sie mit seiner Robe. »Ich war sehr unhöflich. Mein Name ist Lelbon. Ich bin ein Botschafter von Illir.«
Er hielt inne und wartete auf eine Reaktion, aber der Name sagte Miranda nichts. Doch in dem Moment, in dem Lelbon sprach, fühlte sie einen scharfen Schmerz an ihrem Hals. Zuerst dachte sie, der Mann hätte etwas getan, doch dann verstand sie, dass es Erils Anhänger war, der versuchte, sich in ihrer Brust zu vergraben.
Sie achtete sorgfältig darauf, ihre Miene ausdruckslos zu halten, während sie einen fragenden Impuls der Macht zu ihrem Windgeist schickte. Die Antwort, die sie erhielt, war ein überwältigendes, verzweifeltes Verlangen, den Anhänger zu verlassen.
»Eril«, sagte sie leise, zog leicht an der Verbindung zwischen ihnen und gab damit ihre Erlaubnis. Der Druck des Anhängers ließ nach, und der Windgeist explodierte nach draußen. Doch diesmal sauste Eril ungewöhnlicherweise nicht durch den Raum. Stattdessen wirbelte der Wind gehorsam neben Miranda und erzeugte kleine Kreise im Sand.
»Es tut mir leid, Herrin«, flüsterte der Wind. »Illir ist einer der Windherrscher. Es wäre unglaublich unhöflich, seinem Botschafter nicht meinen Respekt zu zollen.«
Miranda verspannte sich. »Windherrscher?«
»Ja«, sagte Lelbon. »Um genau zu sein, der Westwind.«
»Und dieser Illir«, fragte Miranda vorsichtig, »ist der Große Geist des Westens?« Es erschien ihr ein riesiges Gebiet, um sich unter der Kontrolle eines Großen Geistes zu befinden, aber bei Geistern war es immer besser, zu viel Macht zu unterstellen als zu wenig, um niemanden zu beleidigen. So, wie ihr sonst so widerspenstiger Windgeist sich benahm, vermutete Miranda, dass Illir niemand war, den man gegen sich aufbringen wollte.
»Großer Geist ist nicht ganz die richtige Beschreibung«, sagte Lelbon langsam und nachdenklich wie jemand, dem Details sehr wichtig waren. »Große Geister haben einen Herrschaftsbereich: Der Fluss kontrolliert sein Tal, ein uralter Baum bewacht seinen Wald und so weiter. Bei Winden ist es etwas anders. Sie können im Verlauf eines Tages Dutzende Herrschaftsbereiche überqueren, und nachdem sie den Boden nicht berühren, haben die ansässigen Großen Geister wenig Kontrolle über sie. Statt also zu den Herrschaftsbereichen auf dem Boden zu gehören, haben die Winde ihren eigenen Herrschaftsbereich am Himmel, der von vier
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