Legenden d. Albae (epub)
»Ich schwamm durch den Wassergraben und folgte den Nachtmahrspuren, so gut es ging. Ich konnte die verbrannten Abdrücke über eine lange Strecke fühlen.« Dabei hob sie die Hand und setzte sich hin. »Aberich verirrte mich schließlich.«
»Ich habe dir demnach das Leben bewahrt«, sagte Caphalor genüsslich. »Du stehst in meiner Schuld.«
Sie zögerte, doch dann verneigte sie sich. »Ich tue alles, was Ihr verlangt, Ehrwürdiger.«
Caphalor wusste, dass sie ihm etwas vorspielte. Doch ihr für eine Barbarin starker Wille gefiel ihm. Er lachte leise und hielt Sardaî zurück, der nach der Sklavin schnappen wollte. »Da wird sich etwas finden.«
IV
In Avaris ließen sich die Albae nieder, welche von hohem Stand und mit Reichtum gesegnet waren. Wer in diesen Sternenarm ziehen wollte, musste mit dem Einverständnis aller aufgenommen werden oder wieder gehen.
Wèlèron fiel an die Krieger und Priester und all diejenigen, die sich zur Magie berufen fühlten. Doch es gab kaum starke Zauberer unter den Albae. Die Magie im Blut gewährte es ihnen nicht.
Aber das Wissen um die Vorgänge im Körper gedieh.
Bald waren die Heiler in der Lage, Köpfe zu öffnen, ohne die Kranken zu töten, und sie von Gewächsen zu heilen. Sie ersetzten faulendes Fleisch durch gesundes, tauschten krankes Blut mit frischem, entnahmen Organe oder beschnitten sie. Kaum ein Alb starb mehr an Krankheit oder Verletzung.
Epokryphen der Schöpferin, 1. Buch, Einschub
Ishím Voróo (Jenseitiges Land), Albae-Reich Dsôn Faïmon, Dsôn (Sternenauge), 4370. Teil der Unendlichkeit (5198. Sonnenzyklus), Sommer
»Wir sandten Feuer und Wasser auf eine gemeinsame Reise«, sagte Nagsor Inàste und schritt durch den weitläufigen Raum. Er hielt auf die Albin zu, die vor dem geöffneten, vier Schritt hohen Fenster stand und auf das nördliche Dsôn blickte.
Sie wandte sich ihm zu, zeigte ihm ihr makelloses Antlitz, dessen Vollkommenheit nur von ihm betrachtet werden konnte.
Nagsor erinnerte sich, wie ein Alb durch eine unglückliche Fügung bei seiner Segnung den Kopf gehoben und sie angeblickt hatte. Ohne den papiernen Sichtschutz oder den Schleier. Er hatte beobachtet, wie der Alb seinen Verstand verlor: Zuerst lächelte er verzückt, dann wurde sein Lächeln übertrieben, verzerrte sich, und schwarze Tränen liefen ihm die Wangen hinab. Die Augen hellten sich mehr und mehr auf, verloren ihre Farbe und erblindeten. Fortan sprach der Alb nicht mehr und war eine Hülle, die sie getötet hatten, um sein unwürdiges Dahinvegetieren nicht unendlich werden zu lassen. So wenig wie jemand in die Sonne starren konnte, so wenig hielt man ihrer beider Schönheit stand.
Nagsor ergötzte sich an ihrem Anblick. Da die Scheiben rot getönt waren, war eine Hälfte ihrer Züge wie mit Blut bemalt, die andere weiß und vom Taggestirn beschienen. Ein Auge war somit schwarz, das andere schimmerte in der Dunkelheit in einer undefinierbaren Farbe.
Sie trug dazu noch ein leichtes, durchsichtiges Nichts von einem Kleid in Schwarz, das ihren vollendeten Leib im Gegenlicht in allen Einzelheiten erkennen ließ. Nagsor schauderte vor Freude bei diesem Anblick. Er durfte sie berühren, mit ihr dasLager teilen. Sonst niemand.
»War das nicht unsere Absicht, Bruder?«, antwortete sie mit klarer, reiner Stimme. »Der Stärkste der beiden wird zurückkehren. Mit unserem neuen Verbündeten. Und die Uneinigkeit unseres Volkes wird zu Ende sein.« Sie schloss das Fenster, ihre Kleidung verlor das Durchschimmernde. Langsam kam sie auf ihn zu, legte einen Arm anmutig um seinen Nacken und gab ihm einen innigen Kuss auf die Lippen.
Er berührte ihre schmale Taille; seine Finger glitten ihren Rücken hinauf, streichelten ihn sanft, bevor sich ihre Münder voneinander lösten.
Nagsar Inàste sah ihm in die Augen. »Wir haben das Richtige getan.«
»Ich hege keinen Zweifel daran«, erwiderte er zu ihrer Überraschung. »Ich frage mich nur, was geschähe, wenn
beide
zurückkehrten? Noch dazu erfolgreich. Was, wenn aus Feuer und Wasser Dampf entstünde, dessen druckvolle Kraft enorm ist?«
»Wir sind die Unauslöschlichen. Niemand kann uns jemals gefährlich werden.« Die Albin legte den Kopf schief, zog ihren Arm zurück und schritt auf eine hohe Tür zu; er folgte ihr. »Hast du vernommen, dass eine Sklavin entkam?«
»Man sagte es mir. Sie soll Sinthoras gehören.«
»Was denkst du, wohin sie flüchtete? Sie gehört der Familie Lotor an.« Nagsar öffnete die Tür, und sofort
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