Legenden der Traumzeit Roman
verstreute.
»Verflucht!«, krächzte er und schlug sich mit seinem kalifornischen Hut auf den Schenkel, bevor er versuchte, den Wagen zubewegen. Er schaute zu Hina und Bones hinüber. »Helft ihr mir? Den krieg ich nicht allein von der Stelle.«
Bones nahm das Sieb und gab sich den Anschein, beschäftigt zu sein, Hina erkannte, dass er ohnehin nicht von großem Nutzen wäre, und lief hinüber, nachdem er Bones aufgetragen hatte, das Maultier einzufangen. Er drückte die Schultern gegen den Wagen, und gemeinsam gelang es ihnen, ihn aufzurichten.
»Ich habe zwei Kumpel da unten«, sagte der Amerikaner schleppend. »Wir werden Hilfe brauchen.«
»Einsturz!«, rief Hina. »Zwei Männer begraben!« Bones rannte herbei, rasch schlossen andere sich ihm an.
Die Stille war unheimlich. Sie verzichteten auf den Gebrauch von Spitzhacken und Schaufel und begannen hektisch mit den Händen zu graben. Ein Einsturz war keine Seltenheit und ging für gewöhnlich tödlich aus. Sie hatten es alle schon erlebt und wussten, ihnen blieben nur wenige Minuten, um die Männer zu finden und herauszuholen.
Stunden schienen vergangen, in denen sie in der Erde gewühlt hatten, als Hinas Finger etwas berührten. Eine Hand. »Hier«, keuchte er und strengte sich noch mehr an.
Die Art, wie sie die Erde aushoben, hatte etwas Stilles, Verzweifeltes an sich, und Hinas beeindruckende Kraft und sein Durchhaltevermögen stießen an ihre Grenzen. Als die Arme des Mannes vollends freigelegt wurden, packte Hina sie und begann zu ziehen, während die anderen hastig gruben, um den langsam auftauchenden Oberkörper frei zu schaufeln.
Endlich gab die Erde ihn auf. Hina sah, dass er kaum noch atmete, als er weggetragen wurde. Doch es blieb keine Zeit für eine Pause: Sie mussten einen weiteren Mann suchen.
»Ich sehe ein Hemd. Da.« Der Amerikaner kratzte wie wild zu beiden Seiten eines blau-rot karierten Stoffteils.
Hina packte das Hemd, doch es zerriss in seiner Hand. Nach weiterem Graben kamen Knöpfe zum Vorschein, ein Hals unddann – zuletzt – ein bärtiger Kiefer und ein blutleeres Gesicht. Die Augen waren geschlossen, es gab kaum ein Lebenszeichen, und der geöffnete Mund war voll Erde. Hina nahm die letzte Kraft zusammen, um den Verschütteten herauszuhieven, doch er fürchtete, dass er zu spät gekommen war.
Der Amerikaner sank auf die Knie und holte den Dreck aus Mund und Nase des Mannes. Der Mann lag still, der offene Mund und der schlaffe Kiefer sprachen seinen Bemühungen Hohn. »Komm schon, atme, verdammt!« Er setzte ihn auf, schüttete Wasser in seinen Hals und schlug ihm fest auf den Rücken.
Der Oberkörper des Mannes tat einen Ruck, die Augen gingen auf, und er schnappte mächtig nach Luft, bevor er sich erbrach. Ein Seufzer der Erleichterung lief durch die Zuschauer, dann waren sie verschwunden. Das Drama war vorbei, niemand war zu Tode gekommen, und man musste Gold finden – es hatte keinen Sinn, Tageslicht zu vergeuden.
»Was zum Teufel ist passiert?« Der Mann, der noch immer angeschlagen war, spuckte den letzten Rest Erde aus und richtete sich auf, um in gierigen Zügen aus dem Wasserschlauch des Amerikaners zu trinken.
»Das blöde Maultier ist von einem Käfer gestochen worden. Der Karren ist auf den Erdhaufen geprallt und hat seine Ladung abgekippt, die das Loch verstopft hat.«
»Wo ist …?«
»Man kümmert sich um ihn.« Mit dem Kopf deutete er auf die Schar auffallend bunt gekleideter Frauen. »Ich würde glatt einen Cent gegen einen Dollar setzen, dass wir ihn für den Rest des Tages nicht mehr zu sehen kriegen.«
Hina betrachtete die Frauen und vermutete, dass er recht hatte, denn im Laufe der Monate war ihm aufgefallen, dass der Mann das Zelt der Frauen regelmäßig aufsuchte. »Besser, die Arbeit eines Nachmittags zu verlieren als dein Leben«, murmelte er. »Sie können ihm nicht vorwerfen, dass er feiern will.«
Ein Netzwerk aus feinen Lachfältchen zerknitterte die Augenwinkel des Amerikaners, der sich die Hände an der Hose abwischte und sich seinen eigenartig hohen Hut mit breitem Rand auf die zerzausten Haare setzte. »Wir schulden Ihnen wohl alle ein Dankeschön«, schnarrte er in wohltönendem Bass. »Ich heiße Howard Repton der Dritte.«
Dabei schüttelte der Amerikaner überschwänglich Hinas Hand.
Howard half seinem Freund auf die Beine. »Das hier ist Fergal Molony, und der Frauenheld da drüben ist sein Kumpel James Tyler.«
Der Tag verlief ohne weitere Zwischenfälle. Sobald die Sonne
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