Legenden der Traumzeit Roman
Familie geworden ist.«
»Und wenn du diese Menschen gefunden hast – was ist, wenn sie den Anspruch auf den Titel erheben? Denk doch nur an den Skandal, den das auslösen würde!« Sie schauderte, doch Harry hatte den Verdacht, dass es eher ergötzliche Vorfreude denn Entsetzen war.
»Roses Erben haben keinen Rechtsanspruch auf den Grafentitel«, erwiderte er steif. »Du kannst versichert sein, dass die Rangfolge gewährleistet ist.«
»Hoffentlich hast du recht«, schnaubte sie.
Harry überging ihre Stichelei. »Anscheinend hat Großvater Jonathan viele Jahre nichts von Rose gewusst, doch als er die Wahrheit aufdeckte, hat er insgeheim dafür gesorgt, dass sie und ihre Familie in eine behaglichere Kate in Cornwall umziehen konnten und ihr Mann eine sichere Arbeitsstelle bekam. Er mag ja in dem Ruf eines Lebemanns gestanden haben, aber wenn es um die Familie ging, besaß er Ehrgefühl.«
Amelia starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren, doch Olivers Blick blieb stetig.
Ermutigt durch diese stille Zustimmung, fuhr Harry fort: »Unser Großvater ist in New South Wales gestorben. Er war gerade auf dem Ritt hinaus zur Farm der Collinsons bei Hawks Head – ich vermute, um Susan zu treffen und ihr von seiner Entdeckung zu erzählen –, als sein Pferd strauchelte. Er wurde abgeworfen und kam ums Leben. Er plante, ein Treuhandvermögen für Rose und ihre Nachkommen einzurichten. Ich glaube, dass dieser Plan mit ihm starb, da die Papiere nie unterzeichnet wurden, denn genau die habe ich gefunden. Ich habe die Absicht, die Familie ausfindig zu machen und den Wunsch meines Großvaters zu erfüllen.«
Ophir Gold Fields, Februar 1852
Das Barackenviertel war bewohnt von bärtigen, ungepflegten Männern aus allen sozialen Schichten. Der abenteuerlustige Sohn eines Herzogs schuftete neben Schafscherern, Arbeitern, Ärzten, Matrosen und Beamten, denn die Jagd nach Gold machte alle gleich und das Leben auf den Goldfeldern in Ophir löschte Klassenunterschiede gewissermaßen aus.
Einige robuste Frauen übernahmen das Kochen, passten auf die Kinder auf und halfen ihren Männern, indem sie Handkarren von den Bergwerken an den Fluss schoben. Doch sie wurden die raue Umgebung meistens bald leid und kehrten nach Hause zurück. Die Frau, die das rohe, ungehobelte Leben überstand, gab es nur selten, und diejenigen, die blieben, verrohten aufgrund ihrer Erfahrungen und verloren bald auch den letzten Rest ihrer Weiblichkeit; sie trugen Hemden und Hosen und standen den Männern in ihrer farbigen Ausdrucksweise und der unermüdlichen Plackerei in nichts nach.
Die Lichtung am Fluss bestand aus einem Meer aus Zelten, einfachen Rindenhütten und zwischen Pfählen aufgespannten Baumwollbahnen. Ein paar stabilere Behausungen gehörten den amtlich zugelassenen Kaufleuten. Sie mussten mit den verschlagenen Alkoholverkäufern und Prostituierten konkurrieren, die sich jedes Mal in den Busch verflüchtigten, wenn die Polizei zur Kontrolle erschien. Recht und Ordnung wurden aufrechterhalten, da die Goldgräber zielstrebig von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeiteten, und ihre Standgerichte fanden nur dann Anwendung, wenn es um Diebstahl von Gold oder Wasser ging. Religiöse Unterweisung über den Ruhetag unternahm der bärtige Pfarrer, der sich dafür auf einen Baumstumpf stellte und die Zuhörer mit feurigen Reden zu stürmischen Lobliedern anheizte.
Die Nächte waren angefüllt mit dem heiseren Gelächter derjenigen, denen es gut ging, und dem trunkenen Jammer der weniger Glücklichen, mit denen die Schnapsläden und Huren schwunghaften Handel trieben. Der Tod war allgegenwärtig – durch umstürzende Bäume, einbrechende Stollen, Schlaganfälle, Blutvergiftungen oder Wundbrand. Die Hitze flimmerte am Horizont und hing über dem Fluss; Fliegenschwärme schwebten über dem zunehmend stinkenden Lager.
Hina war an Hitze gewohnt, doch hier, mitten in diesem unbarmherzigen Land, gab es keine seichte Brise wie auf Tahiti, kein kühlendes Meer, sondern einen lauwarmen, zäh dahinströmenden Fluss und den widerlichen Schweiß, der ihn so durchweichte, dass es ihn juckte. Er betrachtete sich im Spiegel, den er in einen Baum geklemmt hatte, und zog sorgfältig das Rasiermesser über die Haut. Im Gegensatz zur Mehrheit trug er keinen Bart, denn er verabscheute es, sich schmutzig zu fühlen. Nach fast neun Monaten riefen seine zweimal durchgeführten Waschungen am Tag noch immer Kommentare hervor; die gut gemeinten Hänseleien
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