Legenden der Traumzeit Roman
Die erste Träne der Nacht rann über ihr Gesicht.
Ein Tritt weckte Kumali. »Steh auf, und mach Frühstück!«
Sie gab den Kindern einen Kuss, setzte sie zu den anderen und machte sich auf den Weg zur Lagerküche. Die anderen Frauen waren bereits damit beschäftigt, Teewasser zu kochen und dicke Speckscheiben in einer schweren Pfanne zu braten. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen, und sie versuchte, den Krampf in ihrem Magen zu ignorieren, denn die Mahlzeit war nicht für sie und die anderen, sondern für die Polizisten.
Sie hatte die Männer bedient und den Haferbrei gegessen, wobei sie das Meiste Mookah und Garnday gegeben hatte, alsman sie wieder in den Wagen trieb. »Die Kerle zuerst!«, rief einer der Polizisten.
Kumali wartete, während sie hinaufkletterten, sah, dass ihr Platz am Fenster belegt wurde, und wusste, sie hatte nicht die Kraft, darum zu kämpfen.
»Als Nächstes die Weiber.«
Dieser Befehl war zur Routine geworden, doch Kumali traute ihm nicht. Sie übergab Garnday einem kleinen, etwa zehnjährigen Mädchen, das neben Mookah stand. Ein Stoß in den Rücken ließ sie auf den Wagen zu stolpern, und man schob sie hinein.
»Jetzt ihr, Niggerkinder!«
Kumali sah sie auf den Wagen zulaufen und heftete den Blick fest auf die Gesichter ihrer Kinder, in der Hoffnung, sie so zur Eile anzutreiben.
Da schlug die Tür zu. Die Riegel wurden vorgeschoben.
»Sie schaffen die Kinder weg!«
»Mookah! Garnday!«, schrie Kumali und hämmerte mit den Fäusten auf die Eisentür ein. Ihre durchdringenden Klagelaute erhoben sich mit denen der anderen Frauen, als der Wagen sich in Bewegung setzte.
Doch niemand hörte auf sie.
Siebzehn
Parrammatta, Dezember 1855
H oward und Hina waren am Morgen eingetroffen und angenehm überrascht, als sie das zweistöckige Haus mit verzierten Balkonen und weißen Fensterläden in einem Vorort mit viel Grün fanden. Eine Kiesauffahrt führte durch gepflegte Gärten, vorbei an Bäumen und Sträuchern, zum imposanten Eingang. Ihr Blick fiel auf Stallungen, einen Obstgarten und ein baufälliges Gebäude, das etwas abseits stand.
Ein Diener nahm ihr Empfehlungsschreiben entgegen und führte sie ins Arbeitszimmer. Der stille Raum war durch die Veranda vor der Sonne geschützt, mit einem großen Schreibtisch, bequemen Stühlen und mit Bücherregalen möbliert. Das Zimmer gehörte offenbar einem Mann, denn der Geruch nach Zigarren, Whisky und Leder hing in der Luft.
»Mr. Niall Logan hat Erfolg gehabt«, brummte Hina. »Ist dir aufgefallen, wie viele Läden und Fabriken in der Stadt seinen Namen tragen?«
Howard betrachtete die Bücher in den Regalen. »Ja«, erwiderte er, »aber ich frage mich, was die alte Hütte in seinem Garten macht und warum er so viele Bücher besitzt. Ein so beschäftigter Mann hätte nie die Zeit, sie alle zu lesen.«
»Da liegen Sie falsch, Mr. Repton.« Niall trat ein, gab ihnen die Hand und setzte sich. »Jedes Buch, das Sie hier sehen, wurde mehrfach gelesen.« Er legte seinen verzierten Gehstock auf den Schreibtisch. »Die Hütte war meine erste Schmiede und ermahnt mich ständig, nicht zu übermütig zu werden.«
Hina war es peinlich, dass er sie gehört hatte, doch Mr. Logan schien das nicht zu beeindrucken. Er lächelte.
»Dem Brief meiner Tochter entnehme ich, dass Sie der rechtmäßige Besitzer der Taschenuhr sind, Mr. Repton.«
Howard erzählte ihm, er habe die Uhr gekauft und sie sei ihm in Eureka gestohlen worden.
»Ihre Geschichte bestätigt, was ich in Ballarat erfahren habe. Doch worin besteht Ihr Interesse, Mr. Timanu?«
Die blauen Augen schauten ihn durchdringend, aber nicht unfreundlich an, während Hina ihm die Familienlegende erzählte.
»Dann besteht also ein Interessenskonflikt?«
»Nein. Howard hat sie ehrlich erworben. Ich bin mitgekommen, weil ich möchte, dass er die Uhr wiederbekommt, bevor ich nach Tahiti aufbreche.«
Niall Logan betrachtete ihn schweigend.
Hina war ein wenig unbehaglich zumute, denn es war, als könne Niall den inneren Schmerz sehen, der seine Worte Lügen strafte.
»Ich habe Nachforschungen über die Herkunft der Uhr angestellt und ein paar interessante Tatsachen entdeckt.« Niall beugte sich vor. »Ich habe einen Freund in England. Er heißt Harry Cadwallader. Harrys Vater war Edward Cadwallader, ein besonders widerlicher Mann, mit dem ich kurz und heftig Bekanntschaft geschlossen habe. Er hat sich vor ein paar Jahren umgebracht, doch sein Vater ist der Schlüssel zum Geheimnis um diese
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