Legenden der Traumzeit Roman
Hotels zugeteilt, und sie gehorchte still seinen Befehlen, den Blick gesenkt, in der Hoffnung, nicht geschlagen zu werden. Er gab ihr Abfälle zu essen, doch es reichte nur selten, und während sie schuftete, wünschte sie sich nur, ein Schatten zu werden und sich aufzulösen.
Wenn es dunkel wurde, saß sie dann da, starrte vor sich hin und fragte sich, was wohl mit ihren Kindern passiert war. Siehoffte inständig, dass Duncan sie gefunden hatte, dass sie noch lebten und gesund waren. Wenigstens war Natjik verschont geblieben, und sie klammerte sich an die Hoffnung, dass er in Eden Valley frei bleiben würde.
Sie schauderte, denn die Nacht nach der Hölle am Tag war kalt, und ihr dünnes Kleid war inzwischen so zerfetzt, dass es kaum noch wärmte.
»Es gibt einen Ort, an dem du vielleicht deine Kinder findest.«
Die Stimme war leise, die Worte in einem unbekannten Dialekt, und Kumali schaute die ältere Frau kaum an, die sich neben sie setzte. »Ich habe meine Kinder verloren. Sprich nicht davon!«
»Ich bin vom Stamm der Waramungu«, beharrte sie, »und mein Volk spricht von diesem Ort hoch oben im Norden. Er heißt Karlwekarlwe.«
Kumali spannte sich an, denn eine Erinnerung regte sich in ihr, die jedoch so verschwommen und zusammenhanglos war, dass sie nur schwer zu fassen war. »Meine Kleinen sind in Karlwekarlwe? Woher willst du das wissen, obwohl der weiße Mann sie doch vor vielen Monden mit in den Süden genommen hat?«
»Karlwekarlwe ist ein besonderer Ort«, murmelte sie. »Starke Träume – die Träume einer heiligen Frau.«
»Das Träumen bedeutet mir nichts«, entgegnete sie in ihrer Stammessprache, die sie nach den vielen Jahren bei den Weißen fast vergessen hatte.
Die Waramungu-Frau wiegte sich vor und zurück. »Es ist schwer, bei den gubbas zu leben und das Träumen beizubehalten, doch wenn ein Kind gestohlen wird, soll man zu den Geistern der Ahnen beten, damit sie es zurückbringen.«
»Weiße Männer haben mir meine Kinder weggenommen, keine Geister«, fauchte sie. »Geh weg, Alte!«
Die Frau überhörte sie einfach. »Karlwekarlwe ist der Ort, an dem die Eier der Regenbogenschlange liegen. In den Höhlen unter den Eiern lebt Kwerreympe – das Geistvolk aus dem Traum.«
Kumali starrte unentwegt auf den Horizont, aber sie hörte zu, denn die Erinnerungssplitter fügten sich zusammen. Die Regenbogenschlange war die heiligste Urahnin von allen, denn sie war zu Anbeginn der Zeit über die Erde gewandert, hatte mit ihrem riesigen Körper Berge und Täler sowie die Betten für die Flüsse und Seen geformt. Ihre Eier waren immerwährende Erinnerungen an ihre Wanderung und gewährten allen Schutz, die ihr folgten.
»Sie sehen aus wie wir, sind aber in Wirklichkeit Geister. Meine Kusine hat mit diesem Geistvolk gespielt, und als ihre Familie sie ans Feuer zurückrief, hat sie festgestellt, dass sie nicht fortgehen konnte. Sie hatte große Angst, und das Geistvolk sagte zu ihr: ›Verlass uns nicht, du gehörst hierher. Wir können dich zu einer der Unsrigen machen.‹«
Kumali lief ein Schauer über den Rücken. »Haben sie sie mitgenommen?«
»Das alte Volk hat eine große Zeremonie veranstaltet, die Erde und die Felsen besungen, damit Kwerreympe sie zurückgab.«
»Und hat das Geistvolk es gemacht?«
Die alte Frau nickte.
Die Erinnerungen nahmen eine feste Form an. Kumali packte die dürren Arme der Frau und bat sie, die Lieder zu singen, doch die alte Frau sagte, man könne sie nur in Karlwekarlwe singen. »Wo liegt dieses Karlwekarlwe? Wie kann ich die Lieder lernen? Willst du sie mir beibringen?«
Die alte Frau streckte den Arm aus. »Folge dem Fluss ans große Wasser. Karlwekarlwe liegt nördlich von Uluru, südlich von Munga Munga.« Sie seufzte schwer. »Es befindet sich ganz weit, im Never-Never . Man braucht viele Jahreszeiten, ein langer Weg.« Sie zeigte auf den Gürtel des Orion. »Siehst du diese Sterne? Folge ihnen, dann findest du Karlwekarlwe.«
»Bringst du mir die Lieder für den heiligen Ort bei?«
Sie schüttelte den Kopf. »Viele Frauen in Karlwekarlwe singen mit dir. Ein Traumort für Frauen. Viele corroborees .«
Kumali stützte ihr Kinn auf die Knie, als die Frau sich entfernte. Ihre Gedanken überschlugen sich. Durfte sie hoffen? Konnte sie auf etwas bauen, an das sie nie wieder hatte glauben wollen? Und wenn sie nun den weiten Weg umsonst zurücklegte? Wenn sie starb, bevor sie die Eier der Regenbogenschlange erreichte? Die gubbas , nicht die Geister,
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