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Legenden der Traumzeit Roman

Legenden der Traumzeit Roman

Titel: Legenden der Traumzeit Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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Ihnen morgen den Weg zu seinem Anwesen beschreiben.«
    Sie nahmen das Angebot dankbar an. Die Sonne war kaum über den Horizont gestiegen, als sie am nächsten Morgen aufbrachen, und Ruby fragte sich, warum eine Taschenuhr zwei derart unterschiedlichen Menschen so viel bedeutete.
    Broken Hill, New South Wales, September 1855
    Die Hitze im Eisenwagen war unerträglich, und trotz der Ketten an ihren Fußgelenken hatte Kumali sich ihren Weg durch die dicht gedrängten Leiber gebahnt, um neben dem vergitterten Fenster zu sitzen. Der Schlitz in der Wand war zu hoch, als dass sie hindurchsehen konnte, doch hin und wieder wehte etwas Zugluft herein und verschaffte ihnen vorübergehend Erleichterung. Es war die einzige Luft- und Lichtquelle, und sie musste aufpassen, dass ihr niemand den Platz wegnahm. Doch sie wurde schwächer und wusste nicht, wie lange sie ihn noch verteidigen könnte.
    Der Wagen war wochenlang unterwegs gewesen und hatte nur über Nacht oder manchmal nur für wenige Minuten angehalten, um noch mehr Gefangene aufzunehmen oder einige zurückzulassen. Sie bekamen jeden Morgen dünnen Haferbrei, tranken so viel Wasser, wie sie konnten, denn sie mussten das Ende des Tages abwarten, bis es mehr gab. Der Boden des Wagens war übersät mit ihren stinkenden Hinterlassenschaften, in denen sie unweigerlich sitzen mussten.
    Sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Die Kinder waren so hungrig und verängstigt, dass sie nicht mehr weinen konnten, und sie gab sich die größte Mühe, sie festzuhalten, während der Wagen über steiniges Gelände holperte und polterte und sie aus ihren Armen in den Schmutz zu schleudern drohte.
    In dem Wagen waren auch andere schwarze Frauen, ein paar Männer und Jungen mit Stammeszeichen, die sie nicht kannte, sowie mehrere Kinder, die anscheinend auf sich gestellt waren. Diese Kinder hatten hellere Haut und rötliches Haar, und Kumali konnte sie nicht anschauen, denn ihre verstörten Gesichter und die hungrigen Augen schienen sie zu verschlingen.
    Garnday bewegte sich matt in ihren Armen und suchte nach einer Brustwarze, doch Kumali hatte keine Milch mehr für sie. Sie drückte die trockenen Lippen auf ihren Kopf, und die Kleine schaute sie so enttäuscht an, dass Kumali das Herz brach. Sie schenkte Mookah, die sich an ihre Seite klammerte, ein freundliches Lächeln, um ihr Mut zu machen, doch Kumali hatte Angst um sie alle – fürchtete sich vor dem nächsten und dem übernächsten Halt –, denn es hatte den Anschein, als sollten sich die Ereignisse ihrer Kindheit wiederholen.
    Als es dunkel wurde und der Wagen anhielt, seufzten alle erleichtert auf. Die Tür ging auf, sie fielen geradezu ins Freie und lechzten nach frischer Luft und Wasser.
    »Kein Essen, bis ihr eure Scheiße weggeräumt habt«, brüllte Wally, der noch immer die Aufsicht hatte. »Dreckiges Pack!« Er trat Kumali gezielt in die Rippen. »He, du schwarze Schlampe, beweg deinen Arsch!«
    Kumali huschte fort. Er hatte sie noch nicht erkannt; zum ersten Mal in ihrem Leben war sie dankbar dafür, dass weiße Männer keinen Unterschied zwischen ihnen sahen. Sie schlug die Augen nieder, setzte die Kinder zu den anderen unter einen Eukalyptusbaum und eilte mit den anderen Frauen zum Pferdetrog, um Eimer voll Wasser zu holen, wobei die Ketten bei jedem Schritt klirrten.
    Während die Männer den Wagen ausfegten und sie zurückging, um den Eimer wieder zu füllen, nahm sie rasch ihre Umgebung in sich auf. Sie waren an eine kleine Stadt gekommen, ein paar staubige Holzhäuser zu beiden Seiten einer breiten, von Bäumen gesäumten Straße. In dieser Stadt lebten Weiße, denn sie standen auf den Veranden und an Fenstern und starrten Kumali an, als sei sie eine Kuriosität. Aber daran hatte sie sich inzwischen gewöhnt – so war es in jeder Stadt gewesen, durch die sie gekommen waren.
    Sie wurden gezwungen, durch die Straße zu gehen. Zuschauer bewarfen sie mit Abfall und verhöhnten sie. Die Lichtung befand sich am Rand der Stadt. Dort bekamen sie altes Brot und zähes Lammfleisch. Trinkwasser kam aus dem Fluss, der jedoch zu reißend war, um sich darin zu waschen, zumal die Ketten sie behinderten.
    Kumali schlang die Arme um ihre Kinder, als sie sich auf den Boden legte und in den Himmel schaute. Der Große Ahnengeist war eine Lüge, ebenso wie alles andere, was die Ältesten ihr erzählt hatten. Sie war auf sich gestellt, kämpfte um ihr Leben und das ihrer Kinder. Sie kehrte den Sternen den Rücken zu und schloss die Augen.

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