Legenden der Traumzeit Roman
Andeutung von Kupfer durchsetzt wie sein langes, unordentliches Haupthaar. Sein Mund, in dem gerade eine Tonpfeife steckte, stand immer kurz vor einem Lächeln, als fände er die ganze Episode ziemlich amüsant – was ihr noch mehr Verdruss bereitete.
»Vermutlich kennen Sie mein Gesicht besser als ich«, sagte er milde.
Beschämt lief Jessie rot an und schaute zur Seite.
Er lachte. »Ich hoffe, Ihnen gefällt, was Sie sehen, Miss Searle, denn wir werden noch einige Meilen zusammen zurücklegen.«
Jessie errötete noch mehr. Tatsächlich gefiel ihr, was sie gesehen hatte, aber sie wollte auf keinen Fall Mr. Cruickshanks Ego stärken und es ihm sagen. »Nicht Ihr Aussehen interessiert mich, sondern Ihr Charakter«, sagte sie förmlich. »Ich bin der Meinung, dass Sie ein Chamäleon sind, Mr. Cruickshank, denn Ihre Manieren seit Beginn unserer Reise sind ganz anders als bei unserer ersten Begegnung.«
Er hob eine Augenbraue und sah sie an. »Ich weiß nicht, was ein Cham…dings ist«, sagte er leise, »aber wenn Sie meinen Mangel an Umgänglichkeit meinen, das liegt nur daran, dass ich mir Ihres Zartgefühls bewusst bin und Sie nicht mit meiner groben Redeweise beleidigen will.«
Seine grauen Augen lachten sie aus, und Jessie fiel auf, dass die Iris schwarz umrandet war und dass er dichte, dunkle Wimpern hatte. Rasch wandte sie den Blick ab. »Wenn Sie so lange schweigen, komme ich mir wie ein Eindringling vor.«
Er seufzte tief und rauchte seine Pfeife weiter. »Dann muss ich mich entschuldigen, Miss Searle. Worüber würden Sie sich denn gern unterhalten?«
Jessie hatte viele Fragen, doch sie war so durcheinander, dass sie nach Worten suchen musste, um den peinlichen Moment zu durchbrechen.
Er lachte in sich hinein. »Und wem fehlen jetzt die Worte? Sehen Sie, es ist nicht leicht, eine Unterhaltung mit einem Fremden zu führen, oder?«
»Dann sollten wir vielleicht so anfangen«, sagte sie und zügelte ihre wirren Gedanken. »Arbeiten Sie auf der Missionsstation, Mr. Cruickshank?«
»Nein. Ich habe mein eigenes Anwesen im Tal.«
Jessie wartete, merkte dann, dass dieser Feststellung keine weitere Erklärung folgen würde, und versuchte es mit kaum verhohlener Ungeduld noch einmal. »Sie haben eine Farm?«
»Ja.«
Sie warf ihm einen Blick zu und sah ihm an, dass er sich begriffsstutzig stellte. »Welche Art Farm? Vieh, Schafe oder Getreide?«
»Reben«, antwortete er.
»Reben?«
»Ja, Sie wissen schon – die Pflanzen, an denen Trauben wachsen.«
»Ich weiß, was ein Rebstock ist, Mr. Cruickshank«, entgegnete sie.
»Dachte ich mir. Schließlich sind Sie Lehrerin.«
Jessie sah, dass er ein Lachen unterdrückte. Da dieses Gespräch für sie viel interessanter war, als schweigend dazusitzen, entschied sie, ihre Fragerei fortzusetzen. »Und welchen Wein stellen Sie her, Mr. Cruickshank? Sind Sie ein erfolgreicher Winzer?«
»Mittelmäßig erfolgreich«, sagte er, wobei er fest auf das Mundstück der Pfeife biss. »Die Rebstöcke sind noch zu jung für einen guten Ertrag, aber in den nächsten beiden Jahren dürften sie so weit sein. Das heißt, wenn die Dürre oder die Kängurus sie nicht vor dem Frost erledigen oder Regen und Schlamm sie abtöten.«
Das war der längste Satz, den er seit Beginn ihrer Reise gesprochen hatte, und Jessie nutzte die günstige Gelegenheit. »Wie ist das Hunter Valley?«
»Schön.« Dann, als hätte er erkannt, dass das Spiel weit genug gegangen war, wandte er sich ihr zu und lächelte. »Das Tal ist riesig und liegt im Schutz hoher Granitfelsen – die ideale Gegend für Weideland und Weinanbau. Es gibt Flüsse und Bäche und genug Platz für alle. Vor dreißig Jahren wurde das Tal entdeckt,und obwohl der Unterlauf des Hunter ganz gut besiedelt ist, leben am Oberlauf, wo wir hinfahren, weniger Menschen.«
»Warum?«
Er zuckte mit den Schultern. »Die Menschen haben gern andere Menschen um sich, vermute ich, aber ein paar von uns ziehen die Einsamkeit oben am Hunter vor«, erklärte er. »Im ganzen Tal herrscht jedoch ein guter Gemeinsinn. Wir armen Leute arbeiten für die Reichen und pflegen tagsüber ihre Rebstöcke, bevor wir in der Freizeit unsere eigenen Parzellen bewirtschaften. Der beste Monat ist der Februar, wenn alle bei der Ernte helfen.«
»Das klingt, als wäre Weinanbau ein ziemlich riskantes Unterfangen.«
»Ja, aber wenn man genug Glauben und Leidenschaft dafür aufbringt, beißt man die Zähne zusammen, wenn etwas schiefgeht, und arbeitet
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