Legenden der Traumzeit Roman
das Ohr fest an die Tür gedrückt hatte. Er sah die Jungen mit strenger Miene an und hielt die Stimme gesenkt. »Ihr müsst mir versprechen, nie wieder zu lügen. Und solltet ihr noch etwas entdecken, werdet ihr es uns auf der Stelle bringen.«
Sie nickten eifrig.
»Aber Lügen kann man nicht durchgehen lassen, daher schlage ich vor, dass man euren Lehrer ruft und ihr vier Stunden täglich mit eurem Lernstoff verbringt. Ich werde eure Fortschritte genau beobachten. Also seht zu, dass ihr euch ab sofort von allem Unfug fernhaltet und am Ende eines jeden Monats gute Noten vorweisen könnt.«
Sie nickten widerwillig, und er wandte sich wieder an Oliver. »Reich mir die Gerte!«
Oliver gab sie ihm mit fragendem Blick. Harry legte einen Finger auf die Lippen, bevor er einem Kissen fünf heftige Schläge versetzte. Er hielt inne, teilte fünf weitere aus und reichte die Gerte zurück. »Betrachtet euch als angemessen bestraft!« Er beugte sich zu den Jungen vor, und seine Stimme war kaum mehr als ein Wispern. »Und denkt daran, eure Hinterteile sollten inzwischen brennen, also könnt ihr die Zeitung wieder aus der Hose nehmen.«
»Danke, Sir.« In ihre Erleichterung mischte sich Schüchternheit, als sie die Papierpolster entfernten und dramatisch aus dem Zimmer humpelten. Sie hatten es so eilig, dass sie beinahe ihre Tante umgerannt hätten, die sich nicht schnell genug von ihrem Horchposten entfernt hatte.
»Komm, Oliver, wir wollen mal nachsehen, was diese beiden Halunken versteckt haben.«
»Geh du«, erwiderte Oliver. »Ich bin fürs Bäumeklettern nicht gebaut. Ich will die Sachen hier in die Stadt bringen und schätzen lassen.«
»Ich würde sagen, dieser böse Wind hat dir Gutes eingebracht, Oliver. Die sollten mehr als genug einbringen, sodass du im Konsortium bleiben und wahrscheinlich noch einen netten Notgroschen zurücklegen kannst.«
»Vermutlich möchtest du einen Anteil an den Einnahmen?«
Harry sah die Herausforderung in seinen Augen. »Ich will damit nichts zu tun haben, aber ich wäre dir dankbar, wenn ich mein Angebot über hundert Pfund zurückziehen dürfte.«
»Wenn ich sie verkaufe, dann bist du von deinem Versprechen entbunden«, murrte Oliver.
Harry ließ ihn mit seiner Beute sitzen, und als er die Treppe hinab in den Garten lief, bemerkte er Gertrude hinter einem Vorhang im Parterre, die ihn beobachtete. Arme Gertrude! Selbst das bisschen Humor, das sie einst besessen hatte, schien sie verlassen zu haben – und doch hatte sie richtig gehandelt, als sie die Waffen konfiszierte, denn in den Händen unvorsichtiger Jungen waren sie gefährlich.
Er musste sich tief bücken, um in das Refugium des Baumhauses zu schlüpfen. Er ließ sich auf den Boden fallen, lehnte sich an den Türrahmen und tupfte sich die Stirn ab, während er auf die vergangenen Jahre fluchte. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er mit Leichtigkeit hochgeklettert wäre, doch jetzt war ihm heiß geworden und er war etwas außer Atem. Dennoch, als er dort saß und die Beine frei baumeln ließ, stellte er fest, dass die Aussicht über die Wipfel hinweg bis zur Küste und den Klippen prächtig war. Kein Wunder, dass die Jungen so viel Zeit hier oben verbrachten!
Die Truhe hatte einmal George gehört. Harry kannte sie noch aus der Zeit, als sie vor vielen Jahren nach Cornwall gereist waren, und als er den Deckel hob, überkam ihn eine tiefe Trauer, weil sein Stiefvater nicht mehr unter ihnen weilte. Wie gern hätte George sich an den Piratenspielen seiner Enkel beteiligt, um sich hier oben vor den Frauen zu verstecken und den Pflichten eines Vaters und Ehemanns sowie allen Verantwortlichkeiten zu entziehen, die mit dem Erwachsensein einhergingen! Denn George hatte stets einen wachen, neugierigen Geist besessen und seinen jugendlichen Überschwang nie ganz abgelegt.
Harry wühlte sich durch Muschelschalen, angebissene Äpfel, Papierfetzen und Bindfäden, Masken aus Pappmachee, Holzschwerter, Augenklappen und Schachteln mit fragwürdigen Überresten längst toter Tiere. Ein Andenken an seine Kindheitsschätze, nichts, was Interesse wecken würde.
Die Satteltasche hatte er sich bis zuletzt aufgehoben, und als er sie öffnete, fand er zahlreiche Karten und Notizbücher in einer Ledertasche verborgen. Beim Durchblättern erkannte er, dass es detaillierte Notizen über den Feldzug seines Vaters gegen die Eingeborenen waren. Er steckte sie zurück. Allein die Berührung vermittelte ihm das Gefühl, von dem Blut besudelt zu
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