Legenden der Traumzeit Roman
sein, das Edward damals vergossen hatte, und er hoffte inständig, dass die Jungen sie nicht allzu nah in Augenschein genommen hatten.
Harry verzog das Gesicht, als er wieder auf die Leiter trat. Er hatte nicht das Bedürfnis, etwas über die abscheulichen Taten seines Vaters zu lesen, denn seine Mutter hatte ihm die meisten erzählt, und jetzt waren sie für die Flammen bestimmt, in denen die Schmach und die Schande, die Edward über das Haus von Kernow gebracht hatte, ein für alle Mal geläutert werden konnten.
Freddy beobachtete von einem Fenster im ersten Stock aus, wie Harry die Karten und Notizbücher ins Feuer warf. Der Verlust der Pistolen und des Säbels war nichts im Vergleich zu der Erleichterung, nicht geschlagen worden zu sein, die wiederum verstärkt wurde durch die Gewissheit, dass er das Tagebuch vor den Flammen gerettet hatte, die jetzt seine anderen Schätze verschlangen.
Charlies Schweigen hatte sein Einverständnis mit dieser kleinen Täuschung signalisiert. Das Geheimnis um den verborgenen Kriechgang in der Kinderzimmerwand hatte sie einander nähergebracht. Aber geteilte Geheimnisse liefen Gefahr aufzufliegen,und obwohl er seinem Vetter vertraute und ihn als Bruder betrachtete, fragte er sich, ob es vielleicht klug wäre, das Tagebuch hervorzuholen und dafür ein anderes Versteck zu suchen.
Jenseits der Blue Mountains, Dezember 1849
Im Dunkeln erreichten sie das Ende des Pfades, und die Erleichterung war spürbar, als sie Pferde und Ochsen tränkten, ein Lager aufschlugen und auf Duncan warteten. Kumali entschloss sich, ihr Pferd zu mögen, und nachdem sie ihm Fußfesseln angelegt hatte, wie Ruby es ihr gezeigt hatte, streichelte sie den Hals des Tieres und ließ es an ihr schnüffeln. Seine Mähne kitzelte, und sie kicherte vor Vergnügen.
»Kumali, kannst du mir Wasser holen?«, rief Ruby, während sie das Wallaby häutete, das Fergal am Morgen geschossen hatte.
Kumali nahm den schweren Kochtopf und machte sich fröhlich auf den Weg zwischen den Bäumen hindurch an den nahen Bach. Die Nacht war sternenklar und warm, sie hatte den Abstieg vom Berg überlebt, und bald würde sie ihren Magen füllen.
Sie watete ins Wasser, blieb einen Moment stehen, schaute zum Himmel auf und erinnerte sich daran, wie die Ältesten ihr vor langer Zeit von den Ahnengeistern erzählt hatten, die dort lebten. Verächtlich schnaubend tauchte sie den Topf ins Wasser. Die Geister sollten sie beschützen und über sie wachen, doch sie glaubte nicht daran – nicht nach allem was sie durchgemacht hatte –, sondern war zu dem Schluss gekommen, dass ihr Schicksal in ihren eigenen Händen lag. Sie hob den gefüllten Topf, der jetzt noch schwerer war, und balancierte ihn auf der Hüfte. Der Schein des Lagerfeuers war ihr Wegweiser, und sie strebte darauf zu.
Seine Hand lag auf ihrem Mund, bevor sie schreien konnte. Ein Arm umfasste ihre Taille und zog sie so fest an seinen Körper, dass sie kaum atmen konnte. Der Topf fiel zu Boden, als sie um sich schlug und versuchte, ihm mit den Fingern in die Augen zu stechen.
Sein Atem stank widerlich, seine Lippen fuhren über ihre Wange, seine Stimme war wie ein leises Knurren. »Wehr dich ruhig, du kleine Schlampe! Ich habe lange genug darauf gewartet, und ich will dich haben.«
Kumali wand sich, trat aus, packte seinen Bart und zog daran, so fest sie konnte. Sie grub die Zähne in seine Hand und biss zu, bis sie Blut schmeckte. Sein Griff lockerte sich, er fluchte, und sie rammte ihm einen Ellbogen in die Rippen. Die regelmäßigen Mahlzeiten und die körperliche Bewegung hatten sie gestärkt, und als er wieder nach ihr griff, stieß sie ihm das Knie in die Hoden und schubste ihn von sich.
Er taumelte zurück, Wut in den Augen. Dann verfing sich sein Fuß in dem Topf, und als er sich fangen wollte, geriet der andere Fuß in einen Felsspalt. Knackend brach das Fußgelenk, und mit einem lauten Schmerzensschrei fiel er schwer zu Boden. Sein Schädel barst wie eine reife Frucht – dann war er plötzlich still.
Kumali begann zu schreien. Der Lärm hallte im Busch wider und dröhnte in ihrem Kopf. Berts Blut sickerte über den Fels und bildete auf dem Schiefer am Bach eine Pfütze.
Ruby hörte die Schreie und wusste sogleich, was geschehen war. Sie hatte bereits das Lagerfeuer verlassen, besorgt, da Kumali zu lange brauchte, um Wasser zu holen, und Bert offensichtlich verschwunden war. James und die anderen waren dicht hinter ihr, als sie das Mädchen erreichte. Bei
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