Legenden der Traumzeit Roman
gebraucht wurden, um zu retten, was zu retten war, bevor alles fortgeschwemmt wurde. Sie ließ ihren Gedanken freien Lauf, und ihr Blick wanderte zum Lager der Eingeborenen. Seit Tagen hatte sie keinen Rauch aufsteigen sehen, und sie hoffte, dass sie einen besseren Unterschlupf als ihre Grashütten gefunden hatten. Aufgeregt tippte sie mit dem Fuß auf, denn sie sorgte sich um die entzückenden Kinder, die sie immer mit großen braunen Augen und frechem Grinsen begrüßten.Sie hatten so wenig und schienen doch glücklich zu sein, kamen in die Sonntagsschule, halfen mit Pferd und Wagen, spielten Verstecken zwischen den Bäumen und beobachteten die Kinder der Winzer im Schulhof.
»Sie müssen frieren«, sagte sie kaum hörbar. »Und Hunger haben sie bestimmt auch. Ich wünschte, ich könnte ihnen helfen.«
Der nächste Hustenanfall packte sie, und als er vorüber war, schloss sie die Augen und versuchte das Trommeln des Regens auf dem Blechdach zu verdrängen, doch es hämmerte unerbittlich und ließ sich nicht überhören. Ihr wurde klar, dass sie sich beschäftigen musste, um nicht vom Lärm und der Enge des Schulhauses verrückt zu werden. Also zog sie ihr ältestes und vollkommen verschossenes Kleid an, band sich eine Schürze um und machte sich daran, den Boden zu schrubben.
»Miss Searle! Miss Searle!«
Jessie ließ den Scheuerbesen in den Eimer fallen, strich sich eine verirrte Locke aus dem Gesicht und entspannte den Rücken. »Was ist denn jetzt schon wieder?«, brummte sie verärgert. Sie kam auf die Füße, nieste, schnäuzte sich und ging an die Tür.
Mr. Lawrence kauerte unter einem tropfenden Hut und einem weiten Ölmantel. Er sah so elend aus wie sein Pferd. »Miss Searle, Sie müssen sich beeilen. Der Fluss ist über die Ufer getreten, und das Wasser steigt. Wir müssen die Bücher und alles Wertvolle retten, bevor es zu spät ist.«
Mit einem raschen Blick erfasste sie das wirbelnde Wasser, das dem Tier fast bis an die Fesselgelenke reichte und schon gegen die untere Stufe platschte. Mit einem weiteren Blick nahm sie den Fluss wahr, der den Weg entlangrauschte. Ohne ein Wort zu verlieren, eilte sie ins Klassenzimmer zurück.
Schweigend verpackten sie die kostbaren Bücher und Bibeln nebst den Näharbeiten der Kinder, den Schiefertafeln und der Kreide. Das Feuer wurde gelöscht; dann stapelten sie Bänke undPulte auf das Podest und setzten ihren gepolsterten Stuhl obenauf.
»Ich werde diese Kisten mit ins Haus nehmen, während Sie packen«, wies Mr. Lawrence sie an. »Sie und Mrs. Blake werden sich das leer stehende Zimmer in meinem Haus teilen, bis alles vorbei ist.«
Jessie schnappte sich die Reisetasche und steckte rasch Kleider, Schreibmappe und Umhängetuch hinein. Nachdem sie auch ihr zweites Paar Stiefel, Bürste und Kamm hineingeworfen hatte, drehte sie sich um und schaute, was noch übrig geblieben war. Zwischen Hustenanfällen zog sie das Bett ab. Sobald das Bettzeug fest zusammengerollt war, kletterte sie auf einen Stuhl und klemmte es sorgfältig hinter einen Deckenbalken. Die Matratze erwies sich als zu sperrig, bis sie ein Stück Seil fand, mit dem sie sie zu einem festen Bündel schnürte, das sie ebenfalls an einen sicheren Platz schaffte. Das Eisenbett war zu schwer, daher zog sie den Nachttisch und den Stuhl hinüber und stellte sie darauf. Die Kommode musste bleiben, wo sie war.
»Miss Searle? Wir müssen gehen.«
Mit einem hastigen Blick durch den Raum für den Fall, dass sie etwas vergessen hatte, nahm sie Reisetasche und Schirm und lief hinaus.
Die untere Stufe stand inzwischen unter Wasser, und als sie zögerte, verlor Zephaniah die Geduld. »Jetzt geben Sie mir schon die Tasche, und legen Sie den Schirm weg. Der nutzt Ihnen gar nichts, und ich kann hier nicht herumsitzen, während Sie bibbern.«
Folgsam nahm sie seine helfende Hand. Sie stellte einen Fuß in den Steigbügel und wurde auf das Pferd gehievt. Der Regen prasselte herab, durchnässte ihr Haar, und sie blinzelte durch die Tropfen.
»Halten Sie sich an mir fest!«, befahl er.
Jessie klammerte sich behutsam an seinen Mantel, als dasPferd durch das Wasser zu waten begann. Ihr Griff wurde fester, denn ihr wurde klar, dass das Tier nur mit Schwierigkeiten gegen die rasch ansteigende Flut ankam, und obwohl die Entfernung zwischen Schule und Haus nicht groß war, schien der Ritt Stunden zu dauern.
Durchweicht und verdreckt fiel Jessie beinahe in Hildas Arme, als Zephaniah sie herunterreichte. Sie nahm ihre
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