Legenden der Traumzeit Roman
kostbare Tasche an sich und ging ins Haus. »Mir war gar nicht klar, dass es so schlimm geworden ist«, sagte sie, tupfte sich die wunde Nase ab und versuchte, den nächsten Hustenanfall unter Kontrolle zu bringen.
»Mach dir nichts draus, Schätzchen!«, besänftigte Hilda sie. »Zieh die nassen Sachen aus, und dann trinken wir eine Tasse.« Sie öffnete die Schlafzimmertür, hinter der zwei schmale Betten inmitten zahlreicher Kisten und Kästen auftauchten. »Wir beide werden uns den eine Weile teilen«, sagte sie. »Sieht nicht so aus, als würde sich das Wetter bessern.«
»Hast du gehört, wie es den anderen geht?« Jessies Zähne klapperten, und sie hatte Mühe, mit ihren tauben Fingern die nassen Schnüre ihres Mieders aufzubinden.
Kopfschüttelnd half Hilda ihr beim Ausziehen und Abtrocknen. »Es gibt nichts Neues. Hier ist seit Tagen niemand vorbeigekommen, aber ich vermute, sie sind alle in derselben Lage wie wir – besonders die, die nah am Fluss wohnen.« Sie musste die Besorgnis in Jessies Augen gesehen haben, denn sie schenkte ihr ein warmes, tröstliches Lächeln. »Abel ist ein starker, gesunder Mann. Er hat schon Schlimmeres überlebt, dessen bin ich mir sicher, also besteht kein Grund, sich Sorgen zu machen.«
Jessie wurde ein wenig wärmer, nachdem sie nun trocken war, und sie benutzte das Handtuch, um ihr Gesicht zu verbergen, während sie sich die Haare rubbelte. »Ich mache mir keine Sorgen um Mr. Cruickshank«, sagte sie abwehrend. »Mir geht es nur um meine Schüler und ihre Familien.«
»Natürlich, Schätzchen.«
Jessie warf ihr einen argwöhnischen Blick zu, doch Hilda schien vollauf mit dem Aufsammeln der durchnässten Kleidung beschäftigt. »Die wringe ich aus und hänge sie vor das Feuer. Komm ins Wohnzimmer – da ist es warm. Das Abendessen ist fast fertig.«
Sehnsüchtig betrachtete Jessie das Bett. Ihr Kopf pochte, alles tat ihr weh, und eigentlich wollte sie sich nur zusammenrollen und schlafen. Sie wandte den frischen, gestärkten Bettlaken und den weichen Kissen den Rücken zu, putzte sich die Nase und bereitete sich auf einen langen Abend vor.
»Wir können von Glück sagen, dass meine Eltern die Voraussicht hatten, so hoch über dem Boden zu bauen«, sagte Zephaniah, als sie nach der Mahlzeit am Feuer saßen. »Ich kann mich nicht daran erinnern, dass das Haus einmal überflutet gewesen wäre, also dürften wir einigermaßen sicher sein.«
Ein Segen war, dass man das Donnern des Regens nicht übertönen musste, denn die Dachziegel dämpften das Geräusch offenbar. Aber Jessie konnte sich kaum konzentrieren, denn die Kopfschmerzen setzten sich hinter ihren Augen fest. »Was ist mit den Eingeborenen, Sir? Sie haben nur wenig Unterschlupf, und ihr Lager muss inzwischen überschwemmt sein.«
Er zuckte mit den Schultern. »Die haben ihre eigenen Vorkehrungen.«
Jessie runzelte die Stirn. »Welche?«
»Das weiß ich nicht«, fuhr er sie an, und das Monokel plumpste auf seine Brust. »Sie ziehen irgendwohin – wahrscheinlich auf höheres Gelände. Das ist nicht meine Sorge.«
Jessie war versucht, ihm zu sagen, dass es aber so sein sollte, als Hilda wieder ins Zimmer trat und verkündete, sie habe gesehen, wie Zephaniahs Pferd über den Zaun der Koppel gesprungen und zwischen den Bäumen hindurch auf die Berge zu gelaufen sei. »Und das ist noch nicht alles«, fügte sie grimmig hinzu. »IhrEinspänner ist gerade nebst allem anderen aus der Scheune geschwommen und dürfte inzwischen auf halbem Weg nach Brisbane sein.«
Er schnalzte verärgert mit der Zunge und lief ans Fenster. Jessie, die wieder einen Hustenanfall unterdrückte, nahm die Gelegenheit wahr, sich zu verabschieden und ins Bett zu flüchten. Dass er anscheinend besorgter um sein Pferd und seinen Einspänner war als um die Aborigines, machte sie so wütend, dass sie es nicht ertragen konnte, mit ihm in einem Raum zu sein.
Sie schlief fast auf der Stelle ein, doch ihre Träume waren verworren und grell gefärbt. Kurz darauf wurde sie wach gerüttelt. Von Angst gepackt, schlug sie die Augen auf und erblickte gespenstisches Lampenlicht.
»Ich bin’s nur.« Hilda hob die Lampe und zog die Bettdecken zurück. »Das Wasser ist im Haus, Jessie. Wir müssen umziehen.«
Verwirrt und desorientiert starrte sie Hilda an. »Wasser? Im Haus?«
»Steh auf, und du wirst sehen, dass es dir bis an die Knöchel reicht.« Dabei packte Hilda Kisten und Kästen und stapelte sie auf ihr Bett. »Beeil dich, Jessie! Rette,
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