Legionare
daheim.«
»Von euch hat also keiner eine Muthvashi?«, fragte Dar.
»Thwa«, antwortete Kovok-mah.
»Ich glaube, Duth-tok wird bald eine haben«, meinte Lama-tok. »Unsere Muthuri hat einen guten Riecher.«
»Was bedeutet das?«, fragte Dar.
Kovok-mah schmunzelte über Dars Ratlosigkeit. »Wenn die Muthuri überlegt, wer die Muthvashi ihres Sohns werden soll, tut sie gut daran, auf ihre Nase zu achten.«
»Weshalb?«, fragte Dar.
»Man merkt es leicht, wenn zwei sich gern haben«, sagte Kovok-mah.
»Man kann es riechen?«
»Hai«, bestätigte Duth-tok. »Der Duft ist köstlich.«
»Ich dachte«, meinte Dar, »solche Gerüche wären weder angenehm noch unangenehm.«
Duth-tok lächelte. »Der Duft einer Mutter, die man gern hat, ist sehr angenehm.«
Dar fragte sich, ob vom Duft der Liebe oder der Lust die Rede war, empfand aber die Frage als zu vertraulich, um sie auszusprechen. Sie stellte lieber eine andere Frage. »Wie nennt man diesen Duft?«
»Atur«, sagte Duth-tok. »Wie ich ihn vermisse …«
Dars erster Ruhetag seit Monaten hatte etwas Feierliches: Ihr war, als nähere auch sie sich der Heimat. Sie nähte ihr zerrissenes Hemdkleid, beschränkte sich ansonsten aber auf Müßiggang oder Geplauder. Am meisten gefiel ihr das neuartige Gefühl des Dazugehörens. Sie fühlte sich ihren Gefährten nicht
bloß durch Not und gemeinsame Anliegen verbunden, sondern auch aufgrund gegenseitiger Zuneigung.
Als die Dunkelheit einsetzte, legten die Orks ihre Verkleidung wieder an, und es ging weiter. Dars Knöchel war zwar noch empfindlich, doch sie konnte gehen. Da sie unterwegs keine Almosen betteln mussten, marschierte man ohne jede Unterbrechung. Die Gegend wurde trockener, die Wälder machten Buschland Platz. Und weil sie in der Umgebung immer seltener auf Gehöfte stießen, schwand Dars Sorge, die Orks könnten, falls man sie erkannte, überwältigt werden. Gegend Abend verließen sie die Landstraße und schliefen in einem Dickicht.
Die folgende Nacht verlief ebenso, doch nun war der Proviant aufgebraucht. Die Gruppe verschlief den Tag, bis die Sonne sank. Danach suchte Dar benachbarte Gehöfte auf, wo man ihr mehrmals Lebensmittel schenkte, um sie loszuwerden. Häufig warf man ihr aber auch Steine hinterher, um ihr Beine zu machen. Bevor sie genügend Essbares für eine karge Mahlzeit gesammelt hatte, war das Abenddunkel angebrochen.
Während das Grüppchen den Weg nordwärts fortsetzte, stieg die Landschaft allmählich an und wurde ständig karger, bis sie fast einer Wüste ähnelte. Als der Mond aufging und Schatten warf, gewahrte Dar in der kahlen Ebene die Überreste uralter Kanäle. Obwohl sie inzwischen zu einem Gewirr langer flacher Senken verwittert waren, hinterließ ihre Ausdehnung einen bemerkenswerten Eindruck. Kovok-mah bemerkte Dars Blick. »Vor langer Zeit haben die Urkzimmuthi sie gegraben, um Wasser von einem fernen Fluss herzuleiten.«
»Dieser Landstrich hieß früher Grünauen«, sagte Zna-yat.
»Was ist geschehen?«, fragte Dar.
»Die Washavoki sind gekommen«, antwortete Zna-yat.
Am nächsten Tag wagte Dar sich früher zu den umliegenden Gehöften. Wegen der Entfernung zwischen den einzelnen Ansiedlungen und der knauserig verteilten Almosen – Letztere hatten ihren Grund allerdings in der Armut der Bauern – brauchte sie für die Bettelei mehr Zeit.
Am Spätnachmittag gelangte sie in den Besitz einiger modriger Wurzeln und lenkte ihre Schritte zu einem weiteren Hof. Er wirkte verlassen. Nur aus dem Schlot einer Hütte drang Rauch. Indem Dar mit ihrem Wanderstab wiederholt auf den Boden stieß, um sich bemerkbar zu machen, näherte sie sich der Behausung und hielt nach etwaigen Steinewerfern Ausschau.
Gewöhnlich kamen die Bewohner ins Freie, doch diesmal zeigte sich niemand. Dar hatte die Hütte fast erreicht, als die Tür aufging und ein Mann ins Freie trat. Er sah wie ein Greis aus. Er hatte einen langen weißen Bart und eine Haut, die so runzlig war wie Dörrobst, doch er bewegte sich rüstig. Etwas zu essen hatte er nicht mitgebracht. »Ich fürchte mich nicht vor Verfluchten«, sagte er.
»Es ist würdiger, aus Mildtätigkeit statt aus Furcht zu spenden«, antwortete Dar.
Der Mann lächelte. »Du hast eine gewandte Zunge, darum schenke ich dir etwas Wertvolleres als Verpflegung.« Er stürzte sich auf sie und riss ihr den Verband vom Gesicht. Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. »Da, sieh, ich hab dir die Nase zurückgegeben. Soll ich auch deine fehlenden
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