Legionare
sämtliche erwachsenen Angehörigen des Haushalts jeden Gast angesprochen und diese sich revanchiert
hatten, wie die komplizierten Rang-Regeln es vorschrieben. Dar versuchte sich an alle Gesichter und Namen zu erinnern, doch es war schwierig. Alle Mütternamen endeten mit »pah«, dem Sippennamen. Auch einige der hier lebenden Söhne gehörten zur Pah-Sippe, doch die meisten männlichen Orks hörten auf andere Namen, was bedeutete, dass sie mit Müttern der Pah-Sippe verehelicht waren. Der Sohn, der Dar an ihrem nächtlichen Lagerplatz bedroht hatte, hieß Thak-goth.
Der gegenseitigen Vorstellung war eine noch längere Diskussion über Blutsverwandtschaft gefolgt. Man hatte sich offenbar bemüht, irgendeine Verbindung zwischen dem Haus Pah und den Gästen zu finden. Diese Aufgabe war aufgrund der Isolation der Sippe besonders schwierig gewesen. Dar hatte geglaubt, sie würde gleich verhungern, doch dann hatte Varz-hak irgendeine Verbindung zu Duth-smat, dem Gatten einer Enkelin Muth-pahs, herstellen können. Duth-smat war durch Heirat mit dem ganzen Haushalt verwandt, und Varz-hak hatte ganz leicht seine Blutsverwandtschaft mit Kovok-mah, Zna-yat und den beiden Tok-Brüdern nachgewiesen. So waren bis auf Dar alle Anwesenden miteinander verwandt.
Nach der Klärung der Verwandtschaftsfrage hatte man das Essen endlich aufgetischt. Muth-pah hatte es als feierliche Mahlzeit serviert, bei dem die Gäste speisten und die anderen zuschauten. Alle hatten auf Dar geachtet, was für sie ziemlich störend gewesen war. Während des Essens hatte man einen Schlafraum zurechtgemacht; wie in Tarathank war auch er direkt mit dem Hanmuthi verbunden. Nachdem die Gäste gegessen hatten, war Muth-pah mit den Worten aufgestanden: »Unser Haus sei euer, wie auch unser Essen. Ruht euch von der Reise aus.«
Für die Angehörigen des Haushaltes war dies die Aufforderung gewesen, sich zurückzuziehen. Die Söhne hatten abgeräumt;
alle anderen waren in ihre Schlafkammern gegangen. Der Raum für Dar und ihre Begleiter war klein: Wenn die Orks nicht aufrecht geschlafen hätten, wäre er zu eng gewesen. Dar hatte sich auf Kovok-mahs Schoß niedergelassen. In dem Wissen, dass sie beobachtet wurde, hatte sie seine Hand auf ihre Brust gelegt, um ihren Status als Mutter zu unterstreichen.
Während Dar sich an all dies erinnerte, wurde es im Haus ruhiger, denn nun leerte es sich. Nach einer Weile hörte sie in der Nähe aufgeregtes Geflüster. Dar öffnete ein Auge um einen Spalt. Mehrere Kinder standen im Türrahmen. Eine kleine Mutter ließ sich von Dars Spiel aber nicht foppen. »Das Washavoki ist wach!«, sagte sie mit lauter Stimme.
Dar öffnete die Augen und kräuselte die Lippen zu einem Lächeln. Die noch sehr jung wirkenden Kinder wichen zwar zurück, musterten sie aber mit einer Mischung aus Furcht und Faszination. Sie ähnelten kleinen Menschen und erinnerten Dar an die Reliefs der spielenden Kinder in Tarathank. Wie sie waren auch diese Kinder trotz der kalten Luft unbekleidet.
»Lanut Muth Dargui!«, rief eine Mutter. Lasst Mutter Wiesel in Ruhe! Die Kinder trollten sich. Dann missachtete die schimpfende Mutter ihre eigene Anweisung und kniete sich in den niedrigen Eingang. »Der Tag grüßt dich, Dargu«, sagte sie. Ihre Aussprache klang zwar in Dars Ohren melodisch, doch sie war auch schwerer verständlich.
»Tava«, erwiderte Dar.
Die Mutter lächelte. »Ich bin Mi-pah. Unsere Mutter sagt, ich bin deine Sapaha.«
»Ich kenne das Wort nicht«, sagte Dar.
»Ich beantworte Fragen und zeige dir, was du sehen möchtest. «
Meine Führerin, dachte Dar und schaute sich Mi-pah genauer an. Sie hatte in etwa ihre Größe, war aber nicht tätowiert
und hatte noch keinen Busen. Ein junges Mädchen! Dar fragte sich, warum Muth-pah gerade sie ausgewählt hatte. Ihr fielen gleich mehrere Gründe ein, aber sie wusste nicht, welcher der wahrscheinlichste war. »Bist du auch die Sapaha dieser Söhne?«
»Nur für dich«, sagte Mi-pah. »Komm.«
Obwohl Dar es als beunruhigend empfand, von jemandem in Tweas Alter Anweisungen entgegenzunehmen, glaubte sie, dass es besser war, wenn sie gehorchte. Außerdem wirkte Mi-pah nicht wie ein Kind. Sie hatte die Selbstsicherheit einer Erwachsenen. Eigentlich wirkte sie sogar sicherer als alle Frauen, denen Dar je begegnet war.
Sie stand auf und löste sich von Kovok-mah. Er hatte sich auch während ihres Gespräch mit Mi-pah nicht gerührt. Erstaunlich. Dabei war Dar sicher, dass er längst wach war.
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