Lehmann, Christine
hätte es sicher erfahren. Die Deutschen mögen nämlich keine Atomraketen. Sie sind Rüstungsgegner. Torsten hätte sicherlich einen Riesenaufstand gemacht, wenn er vermutet hätte, dass sich dort unerlaubte amer i kanische oder russische Waffen befinden. So wie du.«
Ich behielt meine Antwort für mich.
»Tatsächlich ist der Schacht ein Irrtum, übrigens ein japanischer. Japanische Wissenschaftler haben in den Anfängen der Artemis dort in die Tiefe gebohrt, und zwar in der Hoffnung, auf dem Mond eines Tages Atommüll lagern zu können. Es war eine Schnapsidee. Schon politisch. Man hätte die Frage aufgeworfen, ob der Mond Atomendlager sein dürfe. Und so brisantes Mat e rial mit Raketen hier heraufzuschicken, das hätten viele für viel zu riskant gehalten. Raketen können explodieren. Aber ganz abgesehen davon: Der Mond ist auch geol o gisch nicht geeignet, hat man festgestellt. Die Einzelhe i ten ersparst du mir sicher.«
»Gern«, erwiderte ich. Allerdings hätte mich intere s siert, warum sich Kommandant Butcher entschlossen hatte, ausgerechnet jetzt leutselig mit mir zu werden. »Aber wozu braucht man dann eine Stahlwand?«
Butchers Augen wurden klein und hart. »Eine reine Schutzmaßnahme für den unwahrscheinlichen Fall der Fälle, dass es im Bohrloch irgendeine Art unerwarteter vulkanischer Tätigkeit geben sollte. Der Mondkern gilt als erkaltet und fest, weil dem Mond das Magnetfeld fehlt. Man kann es auch daraus schließen, dass das Mondinnere die Beben von Meteoriteneinschlägen kaum dämpft, anders als auf der Erde. Aber im innersten Kern dürften immer noch knapp zweitausend Grad Celsius herrschen. Und wer weiß schon so genau, was geschieht, sobald der Mensch bohrt. Es steht übrigens alles in den Berichten von den ersten Pathfinder-Missionen. Das kannst du alles nachlesen. Da gibt es kein Geheimnis.«
»Und wie erklärt sich der Austritt von Methangas aus dem Regolith im Bereich über der Bohrkammer?«, e r kundigte ich mich.
»Ja, du willst es immer ganz genau wissen. Lava kann Methan enthalten. Es kann aus der Tiefe ausgasen. Wir werden das noch genauer nachprüfen müssen. Das wäre dann in der Tat nicht ungefährlich.«
Kann sich Methan an der Mondoberfläche entzünden?, fragte ich mich. Erlaubten Vakuum und geringe Gravit a tion überhaupt die dafür nötige Konzentration des G a ses?
»Eine Explosion«, erklärte Butcher unterdessen in se i ner unerklärlichen Leutseligkeit, »wäre noch verheere n der als auf der Erde. Denn hier setzt keine Atmosphäre der Ausbreitung ihren Druck entgegen.« Nachdenklich blickte er mich über den Tisch hinweg an. Dann beugte er sich rasch vor. Seine Stimme übertönte kaum noch das Gesumm und Gebrumm des Habitats. »Und nun möchte ich von dir eines wissen …«
»Mir gebet nix!«, murmelte ich auf Schwäbisch.
»… und zwar: Wer hat deiner Ansicht nach Torsten Veith umgebracht? Denn dass ihn jemand absichtlich getötet hat, davon gehst du doch aus.«
»Nach dem Baggerangriff auf mich muss man davon ausgehen.«
»Ich war immer schon der Ansicht, dass Torstens Tod kein bloßer Unfall gewesen ist. Wieso hätte er sich an einer Scharte im Reifen eines Baggers den Anzug aufre i ßen sollen, wenn der Bagger nicht in Bewegung war? Und woher die Knochenbrüche?«
»Im Bericht steht das aber nicht.«
»Ja, weil schlichtweg niemand die Gelegenheit gehabt haben konnte, den Bagger zu steuern. Es sei denn, man nimmt an, dass der Betreffende die Daten seiner Uhr g e fälscht hätte.«
»Davon gehe ich aus.«
Butcher schlitzte die Augen zwischen Backenhub und gesenkten Brauen. »Und du und ich, wir beide wissen, um wen es sich handelt, nicht wahr?«
Ich staunte. »Ja?«
»Mir sind die Hände gebunden. Ich muss auf die Pol i tik Rücksicht nehmen. Die Empfindlichkeiten der Nati o nen. Ich bin Amerikaner. Ich kann nicht einfach auf die Chinesin zeigen und sagen: Die ist eine Mörderin. Nicht ohne handfeste Beweise. Aber du …«
»Ich?« Ich staunte noch mehr.
»Du mit deiner respektlosen Art, die sich um keinerlei Regeln schert, deiner politischen Naivität, du als Journ a list … Du unterliegst nicht meinen Beschränkungen, kei nem Mondvertrag, keinem Regierungsabkommen. Journalisten recherchieren, vermuten, verdächtigen und beschuldigen. Sie treten die Skandale los.« Der Ko m mandant quetschte ein furchteinflößendes Grinsen in se i ne Backen. »Also tu, was du gelernt hast. Aber du tust es auf eigene Gefahr. Das Einzige, was ich dir zusagen
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