Lehmann, Christine
kann, ist, dass ich dir keine Knüppel zwischen die Beine werfen werde. So … In einer Viertelstunde ist A b schiedsfeier in der Cupola.«
»Was, schon?«
Der Kommandant lachte. »Schon mondsüchtig? Kein Heimweh nach der Erde? Euer Countdown beginnt in fünf Stunden!«
»Aber …«
»Ende der Unterredung«, schnarrte Butcher. »Ich habe zu tun.«
57
»Der Mond ist kreuz und quer erforscht.« Das Erbe der Phaetonen, Georgi Martynow, 1957
Benommen stolperte ich die Treppen hinauf. Hatte ich Butcher wirklich richtig verstanden? Er wollte, dass ich Yanqiu als Torsten Veiths Mörder entlarvte?
Noch vor einer Viertelstunde hätten mich die Eitelkeit oder der Schalk genau dazu getrieben. Ich hätte getan, was nahelag. Die richtigen Schlüsse ziehen. So wie A b dul es mir geraten hatte, der leise Versteher aller Muster, die das Habitat durchsponnen. Aber mit einem Mal war ich Teil von Butchers Plan geworden. Das gefiel mir nicht. Seit wann ließ ich mich zum Teil eines Plans m a chen, den ein Mann mit mir hatte?
Sei nicht kindisch, Lisa!, ermahnte ich mich. Nur weil es dir nicht passt zu tun, was ein unsympathischer Mann für notwendig und logisch hält, kannst du nicht einfach die Wahrheit negieren. Und wenn doch? Lisa Nerz hat genau das immer gekonnt: die offensichtliche Wahrheit leugnen und eine andere finden. So hatte ich Richard u n glücklich gemacht. Eigentlich hatte ich mir das jetzt a b gewöhnen wollen. Als Michelle Ardan hatte ich heute vielleicht die Chance dazu. Aber wozu noch Chancen nutzen? Richard war doch schon tot.
Ich bog ins HHR ab. Wims Pistole lag wieder in der Schublade. Ich stopfte sie mir unters Shirt in den Hose n bund.
Im payload Service deck stieß ich in der Stille der in den Kästen in den Einbauschränken automatisch abla u fenden Versuchsreihen auf Abdul mit Kladde in der Hand und PDA um den Hals.
»Butcher möchte …«
Abdul legte den Finger auf die Lippen.
Ich hätte am liebsten alle Mikrophone und Kameras abgeschossen. Zum Glück war Wims Pistole nicht gel a den.
»Übrigens«, sagte Abdul, »Torsten hat keine Atomr a keten entdeckt. Er hat nichts entdeckt.«
»Ich weiß. Hinter der Stahlwand der Waffenkammer befindet sich ein altes Bohrloch der Japaner.«
»Nein, ich wollte sagen, Torsten hat das Nichts en t deckt«, setzte Abdul neu an. »Ich habe mir seine Berec h nungen angeschaut, die ich von seiner Speicherkarte k o piert habe. Sie sind, sagen wir, des il lusionierend .«
»Wie jetzt?«
»Ganz einfach. Es gibt nichts auf dem Mond. Nichts, was den Aufwand wirklich lohnt. Torstens Berechnu n gen zufolge übersteigen die Kosten für den Abbau dive r ser Bodenschätze den Nutzen um ein Vielfaches. Tit a n erz, zum Beispiel, kommt auf der Erde so oft vor, dass man kein Ilmenit auf dem Mond schürfen muss.«
»Und Helium-3!«
Abdul lachte zischelnd wie eine Schlange. »Die Hel i umfusion ist ein Märchen. Im Takomak reagiert Deuter i um mit Helium-3 …«
»Wo?« Immerhin erinnerte ich mich an das traurige Wort in den Texten auf Torstens Speicherkarte.
»Der Takomak ist die Maschine, die mithilfe eines speziell geformten Magnetfelds supererhitztes Plasma für die Kernfusion erzeugt. Plasma ist der vierte Aggregatz u stand eines Stoffes – neben fest, flüssig und gasförmig –, bei dem Atomkerne und Elektronen voneinander gelöst herumschwirren, zum Beispiel in Leuchtstoffröhren.«
Wim spickte um die Ecke und kam herein, als er uns sah. »Was ist mit David los? Er hat noch gar nicht zur Abschiedsfeier in die Cupola geladen. Dabei beginnt sie in zehn Minuten.«
Abdul legte die Kladde beiseite.
»Und weiter?«, drängelte ich ihn.
»Ja, also im Takomak reagiert Deuterium mit Helium- 3 viel zu langsam. Torsten hielt es für ausgeschlossen, dass sich jemals zwei Helium-3-Kerne zur Fusion bri n gen lassen und dabei mehr Energie erzeugen, als man rei n gesteckt hat. Man müsste das Plasma auf unvorstel l bar hohe Temperaturen bringen, fünfmal heißer als das Inn e re der Sonne. Und wenn man das schaffen würde, dann könnte man auch Bor-11 mit Wasserstoff zu Hel i um-4 verschmelzen. Das gibt es auf der Erde. Aus der Heliu m fusion wird nichts, zumindest nicht in den nächsten hu n dert Jahren. Das belegen auch die Plasmavers u che von Krzysztof Skarga.«
Die sogenannten Kugelblitz-Experimente.
»Offiziell, so meint Torsten, werde man das allerdings noch lange nicht zugeben. Denn die Öffentlichkeit soll glauben, dass die Mondmissionen zur
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