Lehmann, Christine
schieben. Über den armen Kerl ist der Tod förmlich hinweggerollt. Da sind zum Ersten Knochenbrüche an den Gelenken. Außerdem hatte er Embolien, explodierte Zähne, was als Folgen einer schnellen Dekompression gewertet werden muss. Dem ist das Blut in Sekunden aus den Adern gekocht. Seltsam allerdings, dass sich in seinen roten Blutkörperchen ke i nerlei Kohlendioxid mehr gebunden fand. Das deutet auf eine Alkalose, würde ich sagen.«
»Was bitte?«
Das freute Zittel. »Haben Sie schon mal gesehen, wie ein junges Mädel hyperventiliert? Das mit der Tüte vor dem Mund? Das macht man, damit sie ihr eigenes Koh le n dioxid zurückatmet. Das Gefährliche beim Hypervent i lieren ist nicht zu viel Sauerstoff, sondern dass man zu viel Kohlendioxid ausatmet. Dann wird das Blut alk a lisch. Das nennt man Alkalose. Unbedingt tödlich, wenn keine Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.«
»Hochinteressant. Und für welchen Tod entscheiden wir uns?«
»Tja! Wir hatten ihn nicht lange genug, um das festz u stellen. Die Ursache für die Prurigoknoten hat der Koll e ge nicht mehr klären können.«
»Was für Knoten?«
»Kennen Sie auch. Aus manchen Insektenstichen en t wickeln sich hässliche schwärzliche Hubbel. Vielleicht haben die da oben kleine grüne Mondflöhe.« Er lachte. »Oder waren die grünen die vom Mars?«
»In der Zeitung stand, er sei bei einem Außeneinsatz gestorben, und zwar infolge einer Beschädigung des A n zugs.«
»Nach einem Zusammenprall mit einem Mondfah r zeug, würde ich hinzusetzen, wenn Sie mich fragen. Shit happens, gell.« Zittel lachte. »Das ist das Schicksal von Pionieren. Was glauben Sie, wie die Seefahrer von K o lumbus gestorben sind! Und die hat man einfach ins Meer geworfen. Ein Astronaut kennt das Risiko. Das sind keine Touristen, die sich wundern, wenn sie im J e men entfuhrt oder in Colombo in die Luft gesprengt we r den.«
Deshalb reiste ich nicht! Nur selten war ich über die Schwäbische Alb hinausgekommen. Mein Wohlfüh l weltkreis beschränkte sich auf mein Habitat im dritten Stock in der Neckarstraße gegenüber der Staatsanwal t schaft, auf der – zumindest jetzt zur Spargelzeit – in der Dämmerung eine Amsel sang, und auf meine Andockst a tionen an der Partymeile von Stuttgart und im Tauben Spitz im Bohnenviertel, in dem Sally kellnerte.
»Was ist das eigentlich für ein Problem, das die da oben auf dem Mond haben?«, erkundigte ich mich.
Zittel hustete. »Ich weiß es nicht, jedenfalls nicht aus erster Hand. Sie haben einen Saboteur, heißt es, aber wie gesagt …«
Ich bedankte mich.
»Gern geschehen«, erwiderte er und holte Luft. »Man hat ja sonst nicht oft …«
»Danke, danke! Vielen Dank auch.« Ich tippte ihn weg und ging Brontë auf dem Presseparkplatz suchen. So viel stand fest: Ich musste nach Friedrichshafen, die Ast r o touristen abpassen und befragen, bevor man sie in ihre Heimaten schaffte. Es war meine Chance, aus den Spät z lestöpfen und Rottweiler Narrensprüngen für die Son n tagszeitungen in die Welt der Politmagazine und übe r re gionalen Zeitungen zu springen. Mord auf dem Mond!
6
»Die beiden Hunde, die man zur Einbürgerung dieser Vierfüßlerrasse auf den festländischen Gebieten des Mondes ausersehen hatte, waren schon im Geschoss ei n gesperrt.« Von der Erde zum Mond, Jules Verne, 1865
»Laika ist doch eine Hunderasse«, bemerkte Sally und suckelte am Strohhalm, der in einem Mojito steckte. Ein angefressener Mond spickte über die Dächer in den Schacht der Urbanstraße . Sallys altersschwache Schäfe r hündin Senta schnarchte vor der Balkontür. Cipión war drinnen die Katzen ärgern gegangen.
»Und eigentlich heißt Laika Kläffer auf Russisch«, klugscheißerte ich mein frisch erworbenes Wissen in die Nacht auf Sallys schmalem Balkon. »Man hat sie in den Straßen von Moskau aufgegriffen und mit dem Sputnik 2 an einem Sonntag ins All geschossen, ziemlich genau vor fünfzig Jahren.«
»Uh! Das war lange vor dem ersten Kusstag unserer Eltern.«
»Ich bezweifle, dass meine Eltern sich je geküsst haben.«
»Und was ist aus Laika geworden?«
»Sie ist wenige Stunden nach dem Start gestorben. Wohl an Stress und Überhitzung.«
»Der arme Hund!«, protestierte Sally beschwipst.
»Die Russen haben sie übrigens Kudrjawka genannt, Löckchen. Die Amerikaner nannten sie Muttnik. Nach mutt für Mischling. Und die Bild -Zeitung meinte d a mals: ›Unzählige werden, wenn sie an den wehrlosen Hund denken, fragen: Wohin!
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