Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
Vom Netzwerk:
Butchers tickende Backe und Oberst Pil i nenkos KGB-Blässe.
    Eine zufällige Auswahl hatte ich in meiner Dummheit gerettet: die Mondgöttin Yanqiu, Abdul mit seinem Auge für geheime Muster, den todkranken Wim und Franco, den Kenner der Frauenärsche. Eclipse würde weiter mit Diamanten handeln, Pjotr würde erneut in die Duma g e wählt oder von der Mafia erschossen werden, Mohamed würde seiner Frau das Autofahren weiterhin nicht erla u ben, und ich würde wieder über kleine Morde aus der Region und Narrensprünge schreiben.
    Dagegen hatte Gonzo womöglich bereits aufgehört, mit dem Flüssigspiegelteleskop im Shackleton-Krater und den Radioteleskopen auf der Mondrückseite nach dem Urknall zu suchen, und David tränkte seine Umg e bung auch nicht mehr mit Schweißmolekülen. Was w u cherte wohl in der Biosphäre, wenn Van Sung nicht mehr gär t nerte und Tupac, der indianische Medizinmann, sich nicht mehr um Bienen und Hanf kümmerte?
    Der Gedanke war unerträglich. Sie mussten noch l e ben. Von einem Massensterben auf der Artemis hätten die Medien und die Öffentlichkeit erfahren. So etwas ließ sich nicht geheim halten. In dreieinhalb Wochen würde ein Großteil der Langzeitbesatzung in Cape Canaveral landen. So lange würde Yanqiu schweigen und in Haft bleiben. So lange würden alle, auch China, die Fiktion aufrechterhalten, sie sei Torsten Veiths Mörderin. Bevor sie nicht ihr Baby auf die Welt gebracht hatte, drohte ihr ohnehin kein Verfahren. Und dann musste sie beweisen, dass die Spritze im food stock schon lange in der Schu b lade gelegen hatte und von ihr nicht benutzt worden war, um den Saft zu vergiften. Immerhin hatten wir mit den begrenzten Mitteln der Artemis keine Spuren von TTX in ihr gefunden.
    Vielleicht würde man Colonel Leslie Butcher nach der Landung noch die Pressekonferenz gestatten, auf der er sich als der Mensch feiern lassen würde, der den längsten Aufenthalt am Stück und den längsten Gesamtaufenthalt im All verbuchen konnte. Wenn auch auf Kosten seiner seelischen Stabilität. Doch danach würde man ihn fes t nehmen und verhören. Beweise würde man ihm nur schwerlich vorlegen können, aber vielleicht gestand er. Dann würde er zum Tode verurteilt werden. Gestand er nicht, würde er zumindest für immer von der Bildfläche verschwinden. Womöglich erhängte er sich in seiner Ze l le.
    Alles wird gut!
    Erleichterung sackte mir in die Blase, und die verlan g te ihrerseits Erleichterung. Cipión schnüffelte sich bereits am Straßenrand entlang durch Müll und Essensreste zur Raststätte zurück. Ich schnappte ihn mir und leinte ihn an, damit er nicht stracks in die Küche durchlief. Mein Sinn zielte auf die Piktogramme der Toiletten, der von Cipión in die andere Richtung. Sein dünnes Schwän z chen wedelte freudig.
    Ich drehte mich um.
    Da saß er am Fenster, die Hand am Kaffeebecher, die andere am Handy, die asymmetrischen Augen auf die Tastatur und seinen tippenden Daumen gesenkt. Er sah übernächtigt aus in seinem cognacfarbenen Anzug und beigefarbenen Hemd ohne Krawatte.
    Mein Handy klingelte.
    Auf dem Display erschien der Name »Richard«, wä h rend Richard sein Handy ans linke Ohr legte und den Blick nach rechts zum Fenster hinaus über die Tankstelle und die Autos schweifen ließ.
    Ich drückte ihn weg. Er senkte sein Handy mit einem ungeschminkten Ausdruck von Angst, Ärger, Resignat i on und Scham, der mir ins Gemüt schnitt. Selten hatte er mir so viel Gefühl gezeigt, noch nie so viele gleichzeitig.
    Ich ließ Cipión los. Er raste durch die Ständer mit G e bäck, Kaffeemaschinen, Obst und Teddybären und durch die Tische. Einem solchen Gehassel konnte kein Mensch seine Aufmerksamkeit verwehren. Bevor Cipión bei ihm angelangt war, hatte Richard ihn gehört und erblickt und ihm die Hand entgegengestreckt, um ihn davon abzuha l ten, seine Krallen ins edle Tuch seiner Hosen zu schl a gen. Und sofort blickte er auf, erstaunt und dennoch nicht überrascht.
    Da war ich schon fast an seinem Tisch.
    Er erhob sich, was er in jedem Fall aus Höflichkeit getan hätte. Richard gehörte zu den Männern, die im R e staurant aufstanden, wenn eine Frau sich erhob, um auf die Toilette zu gehen, und die erneut aufstanden, wenn sie zurückkehrte, um sich erst wieder zu setzen, wenn sie es sich bequem gemacht hatte.
    »Da bist du ja«, sagte ich. »Und ich rase dir seit zwei Stunden hinterher.«
    »Lisa, Himmel!« Er blickte auf sein Handy hinab und dann mir ins Gesicht. »Ich habe

Weitere Kostenlose Bücher