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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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n ne stand tief, die Schatten waren lang, doch es fehlten die Rottöne des Abends. Der Horizont wirkte wie ausg e schnitten, so scharf war der Kontrast zum All, dem g e genstandslosen schwarzen Nichts. Hier gab es den Weichzeichner einer Atmosphäre nicht, der uns auf der Erde Ferne suggerierte. Unheimlich nah wirkte der Hor i zont, wie eine gemalte Theaterkulisse. Zu nah! Und i m mer wieder Löcher im Boden, pechschwarz und bode n los. In unmessbarer Entfernung oder Nähe leuchteten hinter dem Schwarz eines Kraterlochs die Spitzen eines Gebirgskamms wie Laternen.
    Doch die Schlagschatten auf dem Wüstenboden waren keineswegs so undurchdringlich schwarz, wie ich es in absolutem Vakuum erwartet hatte, auch der breite Scha t ten nicht, den die Station selbst kilometerweit warf. Der Widerschein der bestrahlten Flächen erhellte auch die Schattenregionen.
    »Und jetzt nenne ich euch euren COUP«, rief Tamara mich zurück, »euren case of urgency partner . Das ist der Astronaut, nach dem ihr euch umschaut, wenn die Frage lautet: Sind alle da? Ihr kennt das vielleicht von Schu l ausflügen. Der Nebensitzer gewissermaßen.«
    Ein Leuchten ging über Gonzos Gesicht. »Geniale Idee! Und so einfach. Wenn jeder immer nur nach einem guckt, geht das schneller, als wenn man alle Namen au f ruft, zumal man im Notfall nicht immer die Besatzung s liste zur Hand haben dürfte.«
    Tamara lächelte. »Das ist der Sinn der Sache. Ihr we r det euch nachher auf unserer täglichen und obligator i schen Konferenz, UTC18Uhr …«
    Ich glaube, ich stöhnte.
    » Universal time coordinated «, half mir Gonzo. »Greenwich-Zeit.«
    »… in der Cupola kennenlernen.«
    Mein COUP hieß Sergei Kascheschkin.
    »Und nun«, sagte Tamara endlich, »wollt ihr euch s i cher mit eurer neuen Umgebung vertraut machen.«
    Zeit zum Angriff: »Wie weit ist Torsten Veith eigen t lich mit dem Helium-Abbau gekommen?«
    Tamara hatte ihre Mimik im Griff wie ein Androide mit Positronengehirn. »Die einzelnen Forschungsprojekte und ihr Stadium kannst du unserem SDS entnehmen.«
    »Bitte?«
    »Dem science document system .«
    »Ich würde dann jetzt gern mal los.« Gonzo treppelte, wie wir Schwaben sagten. Er war hier, um den Urknall zu sehen. Eines der drei Infrarotteleskope dafür befand sich im ewigen Schatten des Shackleton-Kraters. Sein mit Gold bedampfter Flüssigspiegel hatte einen Durc h messer von zwanzig Metern. Für so was war der Mond ideal, hatte mir Gonzo auf dem Herflug erklärt: Er befand sich im absoluten Vakuum, er hatte Gravitation, was den Flüssigspiegel in seinem Becken hielt, und er war geol o gisch tot, Erdbeben gab es kaum, weshalb die Flüssigkeit keine Wellen schlug. In einem Beobachtungszeitraum von nur einem Jahr konnte man stellare Objekte abbi l den, die hundert Mal schwächer waren als die schwäch s ten Objekte, die man bisher gesehen hatte. Den Urknall eben. Auch wenn mein Hirn nicht gebaut war, um zu k a pieren, warum ausgerechnet die Sternengucker immer nur Ve r gangenheit sahen. Ich musste es mir jedes Mal wieder neu herleiten. Die Lichtgeschwindigkeit, ja … Was heute ankommt, ist Milliarden Jahre alt.
    »Und dich, Michel«, lächelte Tamara, »bringe ich dann mal ins Biolab hinüber. Die warten schon auf dich.«

12
     
    »Mondin, du willst Mutter sein/ Und findest keine Liebe/ Die dich zur Mutter macht./ Sag mir, Silbermond/ Was willst du anfangen/ Mit einem Kind aus Fleisch und Blut?« Hijo de la luna, Mecano, 1988
     
    »Wir haben Juana vor sieben Jahren adoptiert«, e r zählte Susanne Veith, den Blick ins augenstechende Nachmi t tagsglitzern des Bodensees gerichtet. »Damals hat man gedacht, ich w ä r unfruchtbar.«
    Fallbeilartig war die Diagnose über sie hereingebr o chen, damals, als Torsten im EAC, dem Europäischen Astronautenzentrum in Köln-Porz, gerade mit seiner As t ro nautenausbildung begonnen hatte. Köln hatte Susanne nicht gefallen. Dann lieber Bolivien. Ein internationaler Energiekonzern baute dort eine Erdgasleitung nach Fl o rida, und Torsten entwickelte Transporttechniken für Gas. Der Aufstand der Bolivianer beendete das Projekt. Die Veiths flohen mit einem indianischen Säugling im Arm. Und Susi wollte unbedingt wieder heim ins Obe r schwäbische, wo man »it« sagte, wenn man »nicht« meinte. Mit Vaters Geld bauten sie ein Haus in Wangen. »Kennet Sie den Fidelisbäck ? Der hat die beschten Se e len, die wo ’ s gibt.« Bei der SS Friedrichshafen entw i ckelte Torsten Vakuumtechniken weiter und setzte

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