Lehmann, Christine
Die ersten wandten sich bereits einer Treppe zu. Mir fiel auf, dass die Saaldecke vom Bauch eines Zeppelins deformiert wurde. Auf dreißig Metern Länge hatte man einen Teil der LZ 129 Hindenburg rekonstruiert. Ich mischte mich unter die Senioren. Oben an der Treppe stand ein Mann in Museumsuniform – hatte er eigentlich auch ein Bah n wärterkäppi auf? Ich weiß es nicht mehr – und sagte: »Bitte gehen Sie zuerst nach links.«
Prinzipiell obstinat schlich ich mich hinter den Ren t nern nach rechts. Der Gang war schmal wie im Zug. Von den ursprünglich vielleicht zwanzig Schlafkabinen waren zwei rekonstruiert. Die Betten knirschten in Stahlrahmen, doppelt auf der einen und einfach auf der anderen Seite des Gangs. Keinerlei Orient-Express-Plüsch. Großzügig mit Raum war die Luftfahrt damals auch schon nicht g e wesen. Das Waschbecken konnte man hochklappen, a n dernfalls hätte man sich den Hintern gestoßen beim Besteigen der Leiter zum oberen Bett. An der Rückwand gab es ein Vesperbrett zum Klappen und einen Segel tuc h klappstuhl. Die Wände waren mit grauem Stoff b e zogen und gepolstert.
»Bitte gehen Sie jetzt nach rechts«, hörte ich den M u seumswärter sagen und fand mich umrempelt von den verrenteten Herrschaften. Ich drängelte mich hinaus. Der Wärter stand gerade in dem Durchgang zum nächsten Ausstellungsraum und kehrte mir den Rücken zu.
Mein gedachtes »Bitte gehen Sie nach links« führte in den Salon des Luftschiffs.
Niedlich! Da gruppierten sich, diagonal angeordnet, ein Dutzend korkbraune, in Stahl eingefasste Tische, manche quadratisch mit abgerundeten Ecken auf einem Mittelfuß, andere rund, einige halbrund zum Klappen an der Wand. Dazu Polsterstühle mit Stahlrohrbeinen und der langgezogenen Sitzfläche der dreißiger Jahre, bez o gen mit ebenfalls korkbraunem Webmusterstoff.
Die Panoramafenster saßen schräg für den bequemen Blick auf die unten vorbeiziehende Landschaft. Mein Blick fiel allerdings nur in die Halle hinunter auf die Vit rinen und auf den Hochbahnsteig der Regionalbahn hi n ter den Fenstern. Eben lief ein roter Regionalzug ein.
»Bitte gehen Sie zuerst nach links«, sagte draußen u n ermüdlich der Wärter. Die Konstruktion erbebte unter den Schritten eines Neuankömmlings. Ich ging weiter in den zweiten Teil des Panoramadecks. Da hing ein Brie f kasten und es gab zwei Doppeltische mit Trennwand und Leselämpchen.
»Eine Atlantiküberquerung dauerte immerhin fünfzig Stunden«, hörte ich hinter mir eine leise, sich ihres Wi s sens sichere Stimme sagen. »Da hatte man viel Zeit zum Briefeschreiben.«
Ich fuhr herum. »Richard!« Mein heimwehleidiges Herz hüpfte.
Er stand an den Panoramafenstern, angetan mit einem sommerlich lindgrünen Poloshirt und braunen Beinkle i dern, blickte mich mit seinen asymmetrischen Augen an und redete meine Frage im Keim nieder. »Die LZ 129 Hindenburg war das größte jemals gebaute Luftschiff, fast 250 Meter lang. In etwas mehr als zwei Tagen kon n te man mit ihr den Atlantik überqueren. Ein Hin- und Rüc k flug kostete 800 US-Dollar, was, in heute umg e rechnet, 10000 Euro entspricht. Ziemlich genau auf den Tag vor siebzig Jahren fing die Außenhülle der Hindenburg bei der La n dung in Lakehurst, New York, plötzlich Feuer. Innerhalb von 34 Sekunden brannte sie ab, 35 Menschen starben.«
»Was machst du denn hier?«, fragte ich.
»Nun, ich habe mir gedacht, wer das Zeppelinmuseum besucht, muss in die Hindenburg steigen.«
»Woher weißt du, dass ich in Friedrichshafen bin?«
»Man hört so allerlei.«
»Du warst im Tauben Spitz und hast Sally die Dau me n schrauben angelegt?«
Er deutete ein Lächeln an. »Nein. Ihr hast du ja nicht gesagt, wo du hin wolltest. Aber ich habe dich gestern zufällig auf der Uferpromenade gesehen. Du warst so beschäftigt mit einer Horde Kindern, dass ich nicht st ö ren wollte. Und bist du jetzt schlauer?«
»Inwiefern?«
»Na, was die genaue Herkunft von Torsten Veiths Adoptivtochter betrifft.«
»Sag endlich: Was machst du hier?«
»Bitte gehen Sie zuerst nach links«, sagte draußen der Wärter.
Ein Familienvater in blauschwarzer Wetterjacke kam herein. Ihm voran tobten zwei Buben, dass der Boden bebte.
»Die Ursache für das Unglück in Lakehurst«, sagte Richard freundlich, fasste mich am Ellbogen und schob mich dem Ausgang zu, »wurde nie ganz geklärt.«
Ich roch den untergründigen Duft nach Zeder und Z i bet von seinem Rasierwasser. Mehr als eine Stunde kon n te es nicht
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