Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
Vom Netzwerk:
verhindern.
    Ich vertraute mich einem Feldweg an, der um den Flughafen herumführte, und kam in ein frisch erschlo s senes Industriegebiet, das von Flachbauten, Werkshallen und dem gläsernen Rundturm der SSF beherrscht wurde. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, mit Dackel unterm Arm am Empfang nach Firmenchef Gunter Maucher zu verlangen. »Schönen Gruß von Oberstaatsanwalt Dr. R i chard Weber.«
    »Haben Sie einen Termin?«
    »Nein, aber ich habe vor ein paar Tagen mit ihm Spargel gegessen.«
    Dass ich es nicht tat, war ein ungutes Zeichen für eine mir völlig unbekannte Seelenlage: düstere Vorahnungen, depressive Ermüdung, Fremdkörpergefühl in fremder Stadt angesichts eines Flug- und Fluchthafens. Wo wollte ich hin, ganz generell in meinem Leben? Erst unlängst war ich ins Vierzigste eingetreten, ins Schwabenalter, wo man vernünftig wurde, ob man wollte oder nicht. Richard kriselte auch so vor sich hin, verschwieg seine Vorwürfe und gewährte mir keine Einblicke in seine Fälle. War es das, was mich lahmte? Die Venus-Männerfalle. Irgen d wann liebst du ihn doch, und dann …
    Ein doppelter Stacheldrahtzaun mit Kameras umfri e dete die alten Abfertigungshallen mit Unmengen von Satellitenschüsseln auf den Dächern, einen alten Fun k turm und Hallen und Hangars, die sich unauffällig in die Wälder verdrückten. Nur die Buchstabenanhäufungen, ESA, EADS und SSF, verrieten, dass hier europäische Raumfahrt abgewickelt wurde. Aber an einem Freita g abend war vor den Eingängen kein Mensch mehr unte r wegs. Nur Kameras äugten fleißig.
    Auf die Nacht nahm ich mir in der Fußgängerzone von Friedrichshafen ein Hotel. Ich aß Spargel mit Speck im avan – Brotgenuss & Kaffeekult gleich gegenüber dem Hotel. Unter der Decke lief ein Schriftband mit dem Wort Brot in aller Herren Länder Sprachen und Schriften entlang: BREAD, EKMEK, j w µ i , CHLEB, BRÖD, p ã o … Das Designerlokal hatte einen Fluchtweg zur Promenade. Ich machte mit Cipión einen Abendspazie r gang am Se e ufer entlang und dachte über Torsten Veiths Witwe nach.
    Ich hätte unbedingt nachhaken müssen, was das für eine Wette gewesen war, die Torsten und Gunter in der sechsten Klasse des Rupert-Neß-Gymnasiums von Wa n gen abgeschlossen hatten, der eine, Gunter, aus Niede r wangen, der andere, Torti, aus Wangen. Wahrscheinlich sägte man sich immer noch gegenseitig die Maibäume um. War ’ s am Ende sogar um Susanne gegangen, die einst eine hübsche Maikönigin gewesen sein mochte? Dann hätte Torti die Wette gewonnen, denn er hatte sie geheiratet.
    Im Hotel stöpselte ich meinen Laptop ans Netz und kundschaftete, während Cipión auf dem Teppich schnarchte, den Luft- und Raumfahrtbahnhof Friedrich s hafen aus. Im Fernsehen lief in einem dritten Programm die Wiederholung einer Dokusoap über zwei Familien, die an einem Weiher im Bodenseehinterland einen Monat lang wie Steinzeitmenschen gelebt hatten. Eine Zeitreise von fünftausend Jahren. Leider bei Dauerregen. Alles tropfte, die Kinder bibberten, die Mütter kriegten das Korn nicht gemahlen. Auch Steinzeittechnik war schwi e rig. Binnen kurzem wurden aus den Frisuren Filz, aus den Fingernägeln schwarzer Bruch, die Zähne faulten.
    Der Start von STS-214 war für Mittwoch kommender Woche geplant. Das Transportsystem war im Stuttgarter Institut für Raumfahrttechnik ausgeklügelt worden. Ein Trägerflugzeug startete mit dem Fährmodul auf dem R ü cken, erhob sich über den Bodensee und zündete in knapp 20 Kilometern Höhe Raketen, die es in den freien Fall in die Schwerelosigkeit hinauskatapultierten. Der Flug war eine Kombination aus Direktflug und Umstei g e system. Aber nicht die Astronauten stiegen um, so n dern das Modul, in dem sie saßen. Zunächst wurde es zur ISS gebracht, dort auf die Mondfähre gehoben und zur ILOS, der International Lunar Orbit Station, gebracht. Dort wurde es in den Lu-Bus gesetzt und senkrecht fallen g e lassen, wenn die ILOS den Südpol überstrich. Aus dem Modul stieg man inzwischen direkt in einen Rüssel und fuhr durch eine Röhre auf einem automatischen Schi e nenwagen bequem bis in die Station. Früher hatten die Astronauten noch ihre Notfalldruckanzüge gegen A u ßeneinsatzanzüge – russische Orlans, auch Skapha n der genannt – tauschen und in einen Rover umsteigen mü s sen, der sie zur Artemis brachte.
    An Bord von STS-214 würden sich nicht nur ein Ast r o naut und zwei Astrotouristen, sondern vor allem zah l lose Packen kommerzieller Experimente

Weitere Kostenlose Bücher