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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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niemandem. Zum Schwimmen kommenwir eigentlich viel zu spät, es ist schon Nachmittag, auf dem Weg hierher sind wir nämlich noch mit Kurts Auto in einen Sightseeing-Bus-Stau vor dem Berliner Dom geraten.
    »Und dieser Dr. Alban, was macht der so?« Kurt stolpert mit seinen Flipflops über eine Baumwurzel. Natur ist nicht so Kurts Ding. Und meins eigentlich auch nicht.
    »Der studiert Zahnmedizin. Behauptet er jedenfalls.« Allmählich verstehe ich mich auch ein wenig besser mit Dr. Alban, obwohl mir sein popkulturelles Expertentum immer noch etwas Angst einjagt.
    »Das sind also die wahnsinnigen Neuigkeiten in deinem aufregenden Leben«, sagt er, und damit scheint das Thema Christina und Dr. Alban vorerst erledigt.
    Kurt ist nach dem langen Weg hierher mal wieder ziemlich schlecht drauf, aber das ist ja nichts Neues. Vielleicht sollte ich ihn auf seine Schwangerschaft ansprechen, dann glänzen seine Augen immer so niedlich vorfreudig, eine seltene Positiv-Veränderung seines Schlechte-Laune-Aggregatzustandes. Stattdessen gehen wir schweigend weiter. Ich erschlage eine Mücke, die gerade in mein Bein sticht, und wedle noch zehn weitere vor meinem Gesicht weg. Die erhöhte Mückendichte deutet immerhin auf die Nähe des Sees hin, wir laufen ja schon ewig durch diesen blöden Wald. Vielleicht hätten wir doch ins Kreuzberger Prinzenbad gehen sollen. Aber da wird man die ganze Zeit von verhaltensauffälligen Halbwüchsigen mit ADS hinterrücks ins Wasser geschubst und dann noch von den unfreundlichen Bademeistern angemotzt, dass vom Seitenrand ins Becken springen verboten sei.
    Wir treten auf eine Lichtung, und vor uns liegt endlichder See. Blaugrün glitzert das Wasser in der Frühabendsonne. Ein einsames Segelboot zieht langsam an den grünen Baumwipfeln einer kleinen Insel vorbei. Sofort entspannen wir uns. Also ich wenigstens.
    »Ein See halt«, brummt Kurt mürrisch, weil ihm ob dieser Pittoreske auch nichts Schlechtes mehr einfällt, und setzt sich seine verspiegelte Ray-Ban auf.
    Wir wandern den Uferweg entlang, um eine geeignete Badestelle zu suchen. Aber egal, wo wir unsere Handtücher ausbreiten wollen, überall liegt schon jemand. Jemand Nacktes.
    »Diese ganzen Ossis nerven mich wirklich«, knurrt Kurt sofort wieder richtig schlechtgelaunt. »Immer liegen die nackt an irgendwelchen Seen rum. Müssen die nicht arbeiten?«
    »Wir arbeiten auch nicht.« Ich schlage schon wieder eine Mücke auf meinem Arm tot.
    »Wir sind kreative Berliner Künstler«, sagt Kurt, jetzt ernsthaft wütend. »Wir müssen immer arbeiten.«
    »Also auch irgendwie nie.«
    Kurt schaut mich düster über den Rand seiner Sonnenbrille an.
    »Du bist selbständiger Graphikdesigner mit so illustren Kunden wie Ritas Nagelstudio in Britz-Süd«, sage ich, um ihn zu ärgern. »Und ich korrigiere Sexkleinanzeigen und habe jahrelang nutzlos Philosophie studiert. Wir sind keine Künstler.«
    »Scheiße, du weißt, was ich meine.«
    Wir machen vor einer malerischen Grasfläche halt, auf der vier nackte, erstaunlich haarlose Rentner liegen.
    »Ich dachte immer, Körper- und Intimrasuren gibt’s erstseit unserer Generation«, sage ich, als wir weitergehen. »Aber diese ganzen Senioren hier sind glatt wie Delphine.«
    »Darüber will ich nicht einmal nachdenken.« Kurt kann ein Grinsen nicht unterdrücken.
    Ein uralter Rentner joggt uns entgegen. Er ist ausnahmsweise nicht nackt, sondern trägt eine bunte Radlerhose, ein gelbes Melt-Festival-T-Shirt und atmungsaktive Nike-Air-Schuhe. Auf seiner Nase sitzt eine wespenaugenförmige Sonnenbrille. Sein Körper ist perfekt gestählt, und er sieht aus wie Heiner Geisler. Nervös nickt er uns zu, als hätte er sich bei einem Hip-Hop-Jugendlichen mit ADS angesteckt, und rennt an uns vorbei. Wahrscheinlich fährt er jeden Tag mit dem Fahrrad aus Berlin hierher, schwimmt zehn Runden im See und joggt dann noch nach Polen.
    »Warum müssen Senioren heutzutage immer aussehen wie Sechzehnjährige und sich auch so benehmen? Entweder sie sind nackt oder bunt.«
    Wir blicken dem fitten Alten schockiert hinterher. Er würde uns wahrscheinlich nach zehn Metern abhängen. Egal, ob zu Land oder Wasser.
    »Wo sind die ganzen beigen Cordhosen und die braunen Sandalen hin? Die Tweedsakkos mit Ellenbogenschonern, die karierten Hütchen und die fein gezogenen Scheitel?«, fragt Kurt.
    Ich muss an Gary denken, der ja so aussieht und den Dr. Alban tatsächlich für ein Stilvorbild hält.
    An der nächsten kleinen Bucht haben

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