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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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Neukölln ist überall. Wir drängen uns erst mal zur Bar, wo natürlich auch total viel los ist.
    »Wie heißt die Band nochmal?«, fragt mich Gary, als wir endlich unsere Mate-Flaschen in der Hand halten und versuchen, der Musik zuzuhören. Es ist so eine Mischung aus Elektro und Pop. Wie alle Musik eigentlich, die man gerade hört, wenn man nicht gerade in Neunziger-Alpträumen schwelgt. Mit man meine ich die hippe Avantgarde.Und mit hipper Avantgarde meine ich Christina und Dr. Alban.
    »Die heißen Smashing Schönheit oder so, glaube ich.«
    »Ah ja«, sagt Gary, als würde er den Namen kennen. Was er aber garantiert nicht tut.
    Wir blicken wieder zur Bühne, wo drei Typen, die genauso aussehen wie das Publikum vor ihnen, hinter wirr verkabelten Keyboards, Laptops, Mikrophonen und anderem Equipment, das wirkt wie aus den frühen Raumschiff Enterprise -Folgen, umherspringen. Daneben steht noch ein Schlagzeug, an das sich hin und wieder eines der Bandmitglieder setzt und erstaunlich gut bespielt. Leider kann ich aber kaum etwas sehen, weil ständig einer der Vor-mir-Stehenden ein Handy vor meine Nase hält, um die Band zu fotografieren. Alle machen die ganze Zeit Fotos. Oder drehen gleich ganze Videos. Ich kann den Sänger eigentlich immer nur auf irgendwelchen Smartphone-Displays sehen. Auch Christina macht Fotos, allerdings nur von sich oder mir oder von uns allen zusammen, wie wir angestrengt ernst gucken. Dr. Alban muss sich am wenigsten anstrengen.
    Dann ist das Konzert auch schon vorbei. Das merkt man ausschließlich daran, dass die Bandmitglieder nacheinander unter dem Gejohle des Publikums von der Bühne schlurfen, die Musik geht einfach weiter. Jetzt eben vom Band. Aber eigentlich kam sie ja auch vorher fast ausschließlich vom Band.
    Christina und ich gehen raus auf einen Steg in der Spree, den spektakulären Außenbereich des Clubs, und betrachten das Universal-Gebäude direkt gegenüber auf der anderen Flussseite. Das Firmenlogo an der Außenfassade desimposanten Baus, leuchtend und riesengroß, wechselt alle paar Minuten seine Farbe. Daneben, ebenfalls hell erleuchtet, die Oberbaumbrücke, so was wie das Wahrzeichen des neuen Party-Berlins.
    »Kann man dein Büro sehen?«, frage ich Christina.
    »Nee, das geht nicht auf die Spreeseite raus. Ist eh ein Großraumbüro und nicht mein eigenes. Aber manchmal sitze ich da oben auf der Dachterrasse mit irgendwelchen jungen Bands. Die kann man mit dem Blick immer ganz gut beeindrucken.«
    Mich auch, denke ich.
    Christina zündet sich eine Zigarette an, wir lehnen uns über das Geländer und blicken auf das dunkle Wasser unter uns.
    »Ich hab mich schon mal in einen älteren Typen verliebt«, sagt sie auf einmal. Erstaunt sehe ich sie an. Dieser Satz spricht mehrere Themenkomplexe an, positive wie negative, von denen mich jeder einzelne ziemlich erschreckt.

    1. Sie hat gerade gesagt, jedenfalls implizit, dass sie in mich verliebt ist. (+)
    2. Sie hatte eine Affäre mit einem älteren Mann. (–)
    3. Für sie ist es ein Thema, dass ich ein älterer Mann bin. (–)
    4. So alt bin ich doch auch noch nicht. (?)
    »Aber der war noch ein ganzes Stück älter als du.«
    Diese Information beruhigt und beunruhigt mich zugleich, und ich beschließe, erst einmal nichts zu sagen und nur zu nicken.
    »Ich habe nach dem Abi erst mal als Ghostwriterin gejobbt, mein Vater hatte Connections zu einer Agentur in München, die für B-Promis, Fußballer und Schauspieler Autobiographien schrieb. Ziemlich bizarr, aber die bezahlten gut. Darüber habe ich einen in die Jahre gekommenen Kinderstar kennengelernt, der sich in der High-Society-Szene herumtrieb und ansonsten von den Tantiemen einer sehr erfolgreichen Serie lebte, die er als Jugendlicher gedreht hatte. Wir hingen oft bei einem gemeinsamen Freund von uns rum, einem genialen Journalisten, der aber inzwischen nur noch kiffte. Irgendwann begannen wir eine Affäre, ich weiß gar nicht so genau, warum, aber etwas an ihm faszinierte mich. Er war in gewisser Weise einfach leer, hatte keine Leidenschaften, keine Ziele im Leben. Die Situation wurde aber immer komplizierter, weil ich irgendwann begann, an seiner Autobiographie mitzuschreiben, die er bei meiner Agentur in Auftrag gegeben hatte. Das wusste er allerdings nicht. Ich beendete die Sache, als ich zum Studieren nach Berlin zog.«
    Christina wirft ihre aufgerauchte Zigarette ins Wasser. Ich starre sie paralysiert an.
    »Habt ihr euch noch mal wiedergesehen?«
    »Nein, nie

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