Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
Vom Netzwerk:
wir endlich Glück, am Ufer liegen noch nicht allzu viele Nackte. Wir breiten unsere Handtücher aus und machen es uns auf dem harten Waldboden, so gut es geht, bequem.
    »Auch nicht gerade perfekt hier«, murmelt Kurt.
    Ich erzähle ihm, dass ich ihn nur noch Kurt Cobain nenne, weil er immer so schlecht drauf und selbstmitleidig ist. Erwartungsgemäß findet er das gar nicht lustig.
    »Wann lerne ich denn deine Christina mal kennen?«, fragt er nach einer Weile, in der wir schweigend in der Sonne lagen. Anscheinend interessiert ihn das Thema »Ich und Liebe« doch mehr.
    »Willst du wirklich?«
    »Na klar, wieso denn nicht?«
    »Morgen ist da so eine Party …«, sage ich, aber Kurt funkelt mich nur missbilligend an.
    »Wir können auch zusammen angeln gehen oder ins Dunkelrestaurant. Das macht man doch jetzt in unserem Alter.«
    »Haha«, sagt Kurt.
    »Kurt Cobain und Christina Aguilera in einem Raum. Eine historische Begegnung.«
    »Haha«, sagt Kurt.
    »Und dann auch noch Dr. Alban und Marky Mark. Das wird krass.«
    Kurt ignoriert mich einfach, steht auf und zieht sich komplett aus.
    »Hier kommt Kurt. Einfach nur Kurt«, ruft er und springt splitternackt in den See.
    »Ich freu mich immer, wenn die Jugend noch meine Lieder kennt«, sagt ein ebenso nackter älterer Herr mit blondgefärbten Haaren neben mir und lächelt mich an.

    Später auf dem Rückweg bemerken wir, dass eine große, asphaltierte Straße direkt zum See führt, der auch gar nicht in Brandenburg, sondern noch im Stadtgebiet zu liegenscheint. Die typischen Berliner Mietshäuser reichen sogar fast bis ans Ufer, wir müssen auf dem Hinweg die ganze Zeit im Kreis gelaufen sein. Wieder einmal haben wir es nicht geschafft, aus der Stadt rauszukommen.
    Kurt fährt mich nach Hause, es ist Abend, die Sonne steht tief und taucht Tiergarten in ein milchiges Licht, das fast an Neukölln erinnert. Sogar die schmuddeligen Eckkneipen sehen halbwegs einladend aus, wenn man die handgeschriebenen Zettel, die in den bräunlichen Fenstern hängen, ignoriert: »Futschi 1 Euro. Kindel 1,50 Euro. Raucherkneipe, Husten verboten. Eintritt ab 18 Jahren, aber nur wenn du drei Bier auf ex trinken kannst.«
    So sah es vor ein paar Jahren auch in Neukölln noch aus, bevor die Studenten und die Künstler kamen und mal so richtig schön gentrifizierten, wie es ja seit ein paar Jahren heißt. Aber Tiergarten wirkt nicht wie eine tote Gegend, überall stehen Leute herum, unterhalten sich, viele Kinder sind unterwegs und schlecken an buntem Wassereis in Plastikfolie.
    Als wir an einer roten Ampel halten, fallen mir zwei desorientierte Jünglinge auf, die schwankend auf dem Gehweg schlurfen, ihre Undercuts zerzaust, die Röhrenjeans verrutscht, die Sonnenbrillen schief auf der Nase.
    »Meinst du, dein Tiergarten wird das nächste In-Viertel?« Kurt deutet auf die zwei Hipster.
    »Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.« Ich muss wieder an den ADS-Hip-Hopper denken und die Kapuzengang. Irgendetwas Seltsames passiert da gerade in Neukölln und Tiergarten, aber ich habe keine Ahnung, was. Mal wieder.
    In diesem Moment klingelt mein Handy. »Christina« steht auf dem Display.
    »Immer dieser frisch verliebten Pärchenklumpen«, ruft Kurt, als ich abnehme und sie begrüße. »Ständig aufeinanderhängen und, wenn sie sich mal ein paar Stunden nicht sehen, gleich telefonieren.«
    Ich wedle mit der Hand vor Kurts Gesicht rum, damit er endlich Ruhe gibt.
    »Mark«, sagt Christina, »du musst unbedingt kommen. Gary ist hier.«
    »Was macht denn Gary bei euch?«
    »Wer?«, ruft Kurt.
    »Psst«, zische ich.
    Kurt dreht das Radio lauter, weil gerade Nirvana kommt. Ich drehe es sofort wieder leiser, und er schaut mich böse an.
    »Seit wann hörst du Nirvana?«, fragt Christina.
    »Ich höre nie Nirvana. Was ist denn jetzt mit Gary?«, versuche ich es noch mal.
    »Den haben wir vorhin in der Weserstraße aufgegabelt, er sah ziemlich fertig aus und hat sich angeregt mit einem Stoppschild unterhalten. Er wollte es überreden, auch mal eine positive Botschaft zu verbreiten: ›Geh weiter, alles wird gut‹, oder so. Anscheinend war er noch von letzter Nacht unterwegs.«
    Garys Zustand ist schon in den letzten Tagen immer bedenklicher geworden. Er kam sogar noch später als ich zur Arbeit, war auffallend unrasiert (was gar nicht schlecht aussah), sprach den ganzen Tag nicht viel und verschwand jede halbe Stunde mit seinem Bio-Tabakbeutel nach draußen. Eigentlich ganz angenehm, so

Weitere Kostenlose Bücher