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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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Kapuzenpullitypen stehen, locker auf ihre Baseballschläger gestützt. Dahinter wartet der ADS-Jugendliche, der als Einziger keinen schwarzen Pulli trägt, sondern seine bunte Hip-Hop-Kluft. Nervös zwinkert er mir zu.
    »Wir sitzen in der Falle«, sage ich theatralisch und komme mir jetzt wirklich wie in Alien vor, und dann wird wieder alles schwarz.
    Ist das, was man sieht, wenn man ohnmächtig ist, eigentlich auch ein Traum, frage ich mich und komme zu dem Schluss: ja, wahrscheinlich schon. Ich träume jetzt also. Ganz schön bescheuert, in einem Traum zu denken, dass man träumt, aber das tue ich tatsächlich. Ein Metatraum sozusagen. Oder ein Posttraum .
    In meinem Traum fahre ich mit der U-Bahn zum Alexanderplatz, aber als ich aussteige, stehe ich am Hermannplatz in Neukölln. Ich fahre weiter zur Friedrichstraße, aber auch da ist Neukölln. Ich nehme den Zug nach Konstanz, aber da ist kein Bodensee, keine Berge und kein Konstanz, sondern schon wieder Neukölln.
    »Neukölln ist überall«, rufe ich, »Heinz Buschkowsky hat doch recht.«
    Plötzlich steht wieder der alte Hertha-BSC-Typ vor mir, er sieht ganz anders aus, viel besser und gar nicht mehr so alt. Statt seiner speckigen Lederweste trägt er einen eng geschnittenen, schwarzen Anzug und dazu eine schmale Krawatte. Auf seinem T-Shirt unter dem Jackett steht: »There’s just Berlin.« Er dreht sich unglaublich schnell eine Zigarette, steckt sie sich in den Mund und beginnt, mit ihr im Mundwinkel auf und ab wippend, zu sprechen: »I’m losing my edge. The kids are coming up from behind.«
    Ich wundere mich, dass der Alte plötzlich englisch spricht, aber Träume sind eben komisch. Auch seine Stimme klingt ganz anders, er redet eigentlich gar nicht, sondern singt schon fast.
    »I’m losing my edge to the art-school Brooklynites in little jackets and borrowed nostalgia for the unremembered eighties. I’m losing my edge, but I was there. I was there. I used to work in the record store. I had everything beforeanyone. But I’m losing my edge to better-looking people with better ideas and more talent. And they’re actually really, really nice.«
    Er hält kurz inne, spuckt die Kippe einfach aus und ruft dann: »You don’t know what you really want. You don’t know what you really want. You don’t know what you really want.«
    »I tell you, what I want, what I really, really want«, kommt es aus meinem Mund, von irgendwoher wird lautes Lachen eingespielt wie bei einer Sitcom, und plötzlich verwandelt sich der gar nicht mehr so alte Hertha-BSC-Alte in Victoria Beckham. Jetzt könnte ich langsam mal wieder aufwachen. Victorias Gesicht verzieht sich zu einer ekelhaften Fratze, ihr Grinsen wird immer breiter, die roten Lippen dehnen sich obszön übers ganze Gesicht aus, wie damals beim »Black Hole Sun«-Video von Soundgarden, und sie sagt mit der Stimme des Alten, total ausdruckslos:
    »You don’t know what you really want. You don’t know what you really want. You don’t know what you really want. You don’t know what you …«

18
Der HIPSTER im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit
    »Doch! Ich weiß es! Ich …«
    »Der Typ ist aufgewacht«, sagt jemand, die Stimme habe ich noch nie gehört. Mir ist schwindlig und ziemlich übel, mein Kopf tut höllisch weh. Und irgendetwas schnüffelt an meinen Beinen rum. Ich öffne meine Augen und blicke dem hässlichen Hund von der Kurfürstenstraße in die treudoofen Augen. Dann knabbert er weiter an meiner Röhrenjeans.
    Bin ich wieder zu Hause in Tiergarten? Schnell wird mir aber klar, dass ich nicht auf dem Bahnhofsboden liege, sondern auf einem kleinen Kinderstuhl sitze. Ich befühle meinen Hinterkopf und entdecke eine weitere Beule. Wie ich sie hasse, diese Kapuzenpullikinder!
    Ich versuche aufzustehen, um den Hund zu vertreiben, bis ich bemerke, dass ich mit Armen und Beinen an den Stuhl gefesselt bin. Was soll jetzt das bitte bedeuten? Kann es eigentlich noch schlimmer werden? Ich kipple mit dem Stuhl herum, habe aber Angst, nach hinten zu fallen, und lasse es lieber.
    »Buschkowsky, bei Fuß«, ruft die unbekannte Stimme aus einem anderen Raum, und die Töle verschwindet sofortdurch die Tür. Ich werde also bewacht. Mir war gar nicht klar, dass ich gefährlich bin – anscheinend hat jemand Angst vor mir. Was ziemlich albern ist, denn eigentlich habe ich doch Angst.
    Ich sehe mich in dem Raum um, in dem ich gefangen gehalten werde, es scheint eine Art Klassenzimmer zu sein, allerdings ein

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