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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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meisten Frauen nicht gut an, auch bei Hannah Sommer nicht. Sie setzte sich um, während ich spuckend und röchelnd den halben Tisch mit Wasserfarbe zukleisterte. Das war kein guter Anfang. Ich hatte nicht gerade das Fundament einer keimenden, jungen Liebe gelegt, eher hatte ich wie ein hustender Hefekloß jegliche Möglichkeit zu einem späteren Kontakt aus der Welt gewalzt.
    Nun stand sie da, wie ein aus Meerschaum geschnitzter Engel inmitten einer Umgebung aus Durchschnittlichkeit. Ich musste es schaffen, Hannah Sommer sollte statt des verwirrten Asthmatikers den Spitzensportler in mir sehen.
    An deutschen Schulen hat man keine Schreckschusspistolen als Startzeichen, nein, in der entmilitarisierten Zone »Sportplatz« gibt es immer einen Streber, der das Holzbrett zusammenklatschen darf. Natürlich war es der Zen-Gärtner Julian Schlender, der Lieblingsschüler von Herrn Schmitz und dessen geheimer Ziehsohn, der diese Aufgabe übernahm. Denn Herr Schmitz liebte das knallende Kommando so sehr, dass er auch beim Weitsprung nicht darauf verzichten wollte.
    Ein dumpfes Klatschen hallte über die weite Leere des Sportplatzes und verfing sich in den Ästen von den paar schrumpeligen Bäumen am Rand.
    Ich lief los, mit jedem Meter sah ich die weiße Linie des Absprungs näher kommen, bei jedem Schritt schlug mein Kopf zeitverzögert hin und her, ich nahm langsam Geschwindigkeit auf. Ich passierte meine Mitschüler, die wie ein hämischer Gospelchor jeden meiner Schritte im Takt beklatschten, allen, auch mir, war klar, dass jetzt Geschichte geschrieben wurde.
    Ich sprang ab, katapultierte mich in ungeahnte Höhen und riss vorschriftsgemäß meine Beine nach oben, um meinen Körper wie ein Blatt Papier in der Mitte zu falten.
    Houston, we have a lift off. A fat kid is flying.
    Ich schob meinen Kopf der kalten Luft entgegen, winkelte ihn an und sah zwischen meinen Beinen die Landebahn aus Sand dahinziehen. Dann sah ich Schmitz’ überraschte Fratze, mit offenem Mund staunte er, wie weit der Junge, der so lange um seine Gunst gerungen hatte, wirklich springen konnte.
    STOP! Warum konnte ich Schmitz überhaupt sehen, er stand doch bei der Absprunglinie, einige Meter hinter mir?
    Houston, we have a problem. The fat kid is coming down.
    Ich hatte mich in der Luft gedreht, eine unfreiwillige Rolle gemacht und mich wie ein Schlangenmensch verbogen, mein Kopf zeigte gerade nach unten, mein Arsch direkt in den Himmel, als wollte ich blasphemisch Gott grüßen.
    Ich schrieb wirklich Geschichte – noch nie hatte sich ein Teilnehmer der Bundesjugendspiele beim Weitsprung so schwer verletzt. Ich landete auf meinem Hinterkopf, rieb einen Abdruck meiner Frisur für die Ewigkeit in den Sand und kam exakt bei der neuen Bestmarke für Siebtklässler zum Stillstand: 4,98 Meter.
    »Bestmarke«, murmelte ich, bevor der Schmerz mir völlig die Sinne nahm.
    Das Letzte, was ich hörte, bevor ich in Ohnmacht sank, war die Stimme meines Sportlehrers Schmitz:
    »Uuuuuuuuuund übertreten«, schrie er.

Die Schmach geht weiter: Schwimmunterricht
    Ich war nicht nur an Land, sondern auch zu Wasser komplett inkompetent, jedenfalls dachte das meine Schwimmlehrerin Frau Morrig. Der wöchentliche Schwimmunterricht, den wir seit der fünften Klasse unter ihr erdulden mussten, hatte dem normalen Sportunterricht voraus, dass es noch mehr Gelegenheiten zur öffentlichen Entwürdigung gab. Jede Stunde Schwimmunterricht war wie eine Einladung, jede unserer körperlichen Unzulänglichkeiten noch einmal in voller Gänze vorzuzeigen. Schon der Sportunterricht reichte eigentlich, um die Schwächen meines schlaffen Pennälerleibs zu offenbaren, im Schwimmunterricht wich jedoch die letzte schützende Hülle, das zu enge Oberteil und meine purpurnen Leggins wurden von einer noch stärker unterdimensionierten Dreiecksbadehose im Batikdesign ersetzt. Ob es wirklich Batik war oder das aggressive, chlorhaltige Wasser einfach nur die Farben aus allem heraustrieb, was den Fehler beging, in ihm zu baden, lässt sich wohl nicht mehr nachvollziehen. Es wäre jedoch vorstellbar, dass die fiese Chemiebrause nicht nur die Farbe aus meiner Hose, sondern auch aus der Haut, den Haaren und den Lippen von mir und meinen Mitschülern trieb. Wir standen alle entkleidet und entwürdigt am Beckenrand, die Haut wie Milchglas ausgebleicht, und zitterten vor dem bitterkalten Wasser, aus dem nur die ledrigen Köpfe einiger Senioren wie wackelnde Steine hervorragten.
    Der Ort des Geschehens

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