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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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unter der dauernden Angst, wegen seines intellektuell wenig fordernden Fachs belächelt zu werden. Zu Recht.
    Das Erscheinungsbild von Sportlehrern ist relativ einheitlich, die meisten tragen neonfarbene Ballonseidensportanzüge, die großzügig ihren feisten Leib umspannen. Dieser ist leicht daran zu erkennen, dass er in den letzten 30 Jahren vermehrt damit beschäftigt worden ist, die sportlichen Leistungen anderer zu kritisieren, anstatt selbst kritikfähige Übungen vorzumachen. Komplett mit einem Paar dunkelblauer Adiletten schlappen die Sportlehrer durch die Schule wie eine Gruppe Rehapatienten ans Kurbuffet.
    Der andere Teil der Sportlehrer ist eine Sondergruppe, die besonders in den letzten 20 Jahren gewachsen ist, seitdem die Vorgaben des Schulministeriums immer mehr dahin gingen, das Alibizweitfach des Sportlehrers (meist Geschichte oder Erdkunde, zwei bemerkenswert sportferne Fächer) zu einem richtigen Schulfach umzuformen. Diese Lehrer treten meist in ihrer Alltagskluft auf, oft etwas zu kurze Wrangler-Jeans und Tommy-Hilfiger-Poloshirts.
    Leider musste ich in meiner Schulzeit immer dem ersteren Typ an Sportlehrer ausgesetzt sein, dem ehemaligen Elitesöldner, der aus jeder Völkerballstunde einen Kampf auf Leben und Tod machte.
    Er hieß Ziegler, war drahtig und sehnig wie ein Körperweltenplastinat und hatte vergleichbar wenig Herz und Verstand.
    Wo andere eine Ansammlung verweichlichter, dicker Kinder und ein schlecht aufgehängtes Volleyballnetz sahen, sah Herr Schmitz ein miniaturisiertes Schlachtfeld, das als Vorbereitung auf die erbarmungslose Alltagswelt dienen sollte.
    Turnbeutelvergesser, Beckenrandschwimmer und Blauefleckenhaber hatten in dem abstrusen Mikrokosmos seines Wirkens genauso wenig Platz wie ich, das lebende Plunderteilchen, das durch jede der jährlichen Turnprüfungen mit einer »Rolle vorwärts« und einer gnädig verhängten »Vier minus minus« gerutscht war.
    Da stand ich nun, das speckige Bindeglied zwischen Mensch und Herrentorte, meine kleine Teenietitte zeichnete sich unheilvoll unter meinem T-Shirt ab, auf dem eine Banane in Sportschuhen »Fit and Fun for Fitness« forderte.
    Ich trug eine Leggins in Altrosa, die meine Mutter wahrscheinlich viele Jahre zuvor während der Schwangerschaft in der Hoffnung auf ein Mädchen gekauft und nun an mir recycelt hatte. Vor mir lag eine graublaue Sportmatte, hart wie Gießbeton, und nicht weit darüber tat sich die Nemesis eines jeden dicklichen Zwölfjährigen auf: die Reckstange.
    Silbern und unheilvoll glänzte sie mir entgegen, in der Ferne sah ich mehrmals das grüne Notausgangsschild aufblinken.
    Es roch wie in jeder Sporthalle, der beißende Geruch käsiger Socken mischte sich in der kalten Luft mit dem klammen Gestank von Magnesiumpulver und blanker Angst, meiner blanken Angst.
    Ein dummer Spruch hatte mich hierhin geführt, ich hatte Herrn Schmitz’ kaninchenhodengroßen Kopf als Verwahrstation für Medaillen bezeichnet und ihn damit eindeutig nicht zum Lachen gebracht.
    Dafür bestrafte er nicht mich, sondern gleich die ganze Klasse mit einer Turnübung. In seiner Welt sollte das wohl das Gruppengefühl stärken, in meiner Welt führte es dazu, dass ich auf der Todesliste der größten Soziopathen unserer Schule unvermittelt nach oben schnellte.
    Jeder einzelne meiner wenigen Muskeln spannte sich bis zum Zerbersten, Blut umspülte kalt mein Hirn, der Schweiß schoss wie ein Güterzug aus jeder Pore meines Körpers. Ich stand am Scheideweg, vom Loser zum Goalgetter. Ich musste nur mit aller Kraft hochspringen, den Schwung des Anlaufs nutzen und dann eine sechsfache Rolle um die Reckstange machen. Am Ende der sechsten Drehung würden die Zentrifugalkräfte meinen teigigen Leib auf eine so große Geschwindigkeit gebracht haben, dass ich nur die Umklammerung lösen müsste, um anschließend mit einem doppelten Salto dem Erdboden entgegenzugleiten. Die Mädchen meiner versammelten siebten Klasse würden in einem spontanen Sturm der Begeisterung ihren ersten Eisprung bekommen, die Jungs sich in Embryonalstellung auf dem Turnhallenfußboden zusammenkauern und mein Sportlehrer einem schockbedingten Herzinfarkt erliegen.
    Es ist wohl nicht nötig, zu erwähnen, dass die Wirklichkeit etwas anders aussah. Mit der Grazie einer Pofalte rannte ich schreiend auf die Reckstange zu, griff an ihr vorbei und versenkte sie tief in meinem Speckbauch. Ich drehte mich einmal um die eigene Achse, ließ genau am unteren Scheitelpunkt der Stange los

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