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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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und deren Symptomatik maximal mehrdeutig war. Doch weder meine Imitation trockener Lepra mit Spielknete noch meine am Glühlampenrand auf Fieberhöchstmaße geschraubten Thermometerwerte hielten meine Eltern davon ab, mich zur Teilnahme zu zwingen.
    So stand ich da, der Regen prasselte auf mein knabenbebustes Leibchen herab, als wollte Gott mich anpinkeln, und meine welligen Haare lagen angeklatscht an meinem Kopf wie der Damenbart der Queen.
    Nur noch wenige Sekunden konnte es dauern, dann würde Ingo Holzmann, ein Junge, der zwar auch unsportlich und unansehnlich war, aber das stille Glück hatte, in beiden Dimensionen von mir übertroffen zu werden, mir den Staffelstab überreichen. Ich sah ihn schon am grauen Horizont der rotsandigen Laufbahn erscheinen. Seine Wangen labberten wie pinke Airbags an seinem Gesicht auf und ab, seine picklige Stirn erinnerte stark an die klobige Masse von Puffreis, und sein Kopf sah aus, als würde er bald platzen.
    Neben ihm lief Julian Schlender, der Klassenschönling, ein guter Sportler, ein guter Schüler und bei allen Mädchen sehr beliebt. Kurz gesagt, ein Riesenarschloch. Schlender war deutlich schneller als das plumpe Häufchen namens Holzmann, und er erreichte die Staffelübergabe einige Sekunden früher. Nun lag es an mir, ich musste die verlorenen Sekunden wieder gutmachen, Schlender überholen und das erste Mal in meinem Leben einen sportlichen Wettbewerb gewinnen. Holzmann streckte mir prustend den Staffelstab entgegen, ich griff zielsicher an dem nassen Stück Metall vorbei und packte mit voller Wucht in Holzmanns mickriges Säckchen, das von einer blauen Adidas-Sporthose verhüllt war. Der Staffelstab fiel klirrend zu Boden. Nicht nur, dass das Wettrennen damit eindeutig gelaufen war, ich hatte auch den armen Ingo Holzmann in aller Öffentlichkeit beinahe entmannt. Er fing abrupt an zu weinen und schnaufte dabei wie ein Frettchen, das sich an einer toten Ente verging.
    Anstatt den Staffelstab noch aufzuheben und Julian Schlender hinterherzurennen, trat ich das dämliche Stück Metall über den halben Sportplatz. Schade, dass es dafür keine Disziplin gab, die Entfernung hätte keiner geschlagen.

Bundesjugendspiele – Weitsprung
    Fein säuberlich harkte der Adjutant des Sportlehrers kleine Rillen in den Sand, als handelte es sich um einen riesigen Zen-Garten für Grenzdebile. Doch dieser Sand hatte nichts Entspannendes, keine Esoteriktante massierte hier ihre Gehirnwellen, nein, es war ein unbarmherziger Treibsand, in dem alle Hoffnungen der jungen Menschen verschluckt wurden. Nebenbei roch der alte, moddrige Quarzstreusel nach Lulu und Schweißfüßen, schon unzählige Schüler hatten ihren verschwitzten Po über die grundierte Oberfläche gestreift, vergängliche Male eines früheren Wettbewerbs hinterlassen.
    Zehn Meter lang war die Fläche, auf der sich Könner von Versagern trennten. Weltrekordler überwinden in einem Sprung fast neun Meter der graugelben Masse, ich war schon froh, wenn ich nicht gleich auf dem ersten Meter statt meines Pos den Abdruck meines Gesichts in den Sand fräste.
    Der Himmel lag wie braunes Backpapier über dem Sportplatz, und trotz des ständigen Nieselregens, der den Sand zu einer trüben, zementartigen Suppe verdünnte, schwitzte ich wie Rainer Calmund beim Sonntagsbrunch.
    Ich hatte so was noch nie gekonnt, und es war auch gegen sämtliche Gesetzmäßigkeiten der Natur, dass massige Lebewesen sonderlich gut springen können sollten, jedenfalls hatte ich noch nie ein Nashorn fidel hopsend die Flucht ergreifen sehen. Und so war auch mir die Flucht nicht vergönnt, ich sah nur die hohlen Augenlöcher Herrn Schmitz’, seinen starren Blick, der die Linie fixierte, die nicht übertreten werden durfte. In der wartenden Menge meiner Mitschüler, die teilnahmslos betrachteten, wie der kleine Fetti sich gleich lächerlich machen würde, sah ich das Gesicht meiner Angebeteten, der Göttin des Lichts, Hannah Sommer. Hannah Sommer war so makellos, dass die anderen Mädchen neben ihr wie Statistinnen wirkten, gecastete Durchschnittstypen, damit Hannahs ausnehmende Schönheit noch mehr zur Geltung kommen konnte.
    Ich hatte noch nie mit Hannah Sommer gesprochen, lediglich im Kunstunterricht wäre es einmal fast zum Kontakt gekommen, weil mir die grüne Wasserfarbe ausgegangen war und sie neben mir saß. Anstatt sie anzusprechen, hatte ich jedoch nur gegluckst wie eine Legehenne beim dicksten Ei ihres Lebens. Spontane Asthmaanfälle kamen bei den

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