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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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phonetisch wiedergegeben werden kann.
    Frau: »Umoro hredsch myljama dor!«
    Frau fängt an zu heulen. Spielt schlecht.
    Muskulöser Mann mit Cowboyhut steht auf und nimmt sie in den Arm. Spielt noch schlechter.
    Mann: »Glagolet durak slebesch dorikint …«
    Bevor der Mann zu Ende sprechen kann, wird Saddam Wickert hineingeschnitten, hinter ihm brennt ein Feuer und er lacht teuflisch, es fehlt eigentlich nur, dass er einen Hundewelpen stranguliert. Frau sagt noch mal etwas, was sich nicht einmal phonetisch wiedergeben lässt. Cowboy lacht.
    Szene Ende.
     
    Sergej zeigte auf den bierdeckelgroßen Fernseher und lachte. Eigenartiger Humor. Mein Vater lachte auch, er hatte nichts verstanden, aber sah wohl eine Chance zur Völkerverständigung.
    Diese Serie brachte fast meine Augäpfel zum Bluten, genervt machte ich Kaugummiblasen, die am Punkt ihrer maximalen Ausdehnung zerplatzten. Ähnlich wie der dicke Mann, auf dessen Schoß mein Vater kurz vorher gelandet war. Er hatte mittlerweile das Bordrestaurant leer gekauft und biss gerade genüsslich in ein Brötchen, das mit einer gelben Paste gefüllt war, die zu den Seiten herausschoss.
    Sergej bestellte für uns alle Krimsekt. Die Flasche wurde direkt an unserer Sitzreihe geöffnet, der Korken löste sich mit einem müden »Pfff« vom Flaschenhals und die drei Reihen direkt hinter uns begannen zu klatschen. Ich bekam auch ein Glas gereicht, mein Vater versuchte, mir die Puffbrause wieder wegzunehmen, doch Sergej drückte seine Hand zur Seite und hob drohend den Zeigefinger. Langsam begann ich ihn zu mögen. Meine Mutter stürzte den Sekt herunter, aus ihrer alltäglichen Nervosität war ein fatalistischer Chor der totalen Verzweiflung geworden, und der Sekt legte eine warme Decke der Sorglosigkeit über ihre angespannten Schultern.
    Es war Essenszeit. Serviert wurden zwei Gerichte. Hähnchen und Leber. Meine Eltern bestellten einvernehmlich Hähnchen, ich verzichtete, weil ich seit ganzen zwei Wochen überzeugter Vegetarier war. Mein Vater deutete auf mich und wiederholte mehrmals »kein Fleisch« auf Russisch. Die Stewardess stellte mir ein Tablett mit gekochter Leber hin und sagte, der Übersetzung meines Vaters zufolge:
    »Ist kein Fleisch, ist Eingeweide.«
    Ich musste fast brechen. Um die gute Stimmung nicht völlig zu killen, würgte mein Vater unter den wachenden Blicken Sergejs die ganze Portion Leber wie ein Reiher herunter.
    Auch sein eigenes Essen entpuppte sich als Herausforderung. Sein Hähnchen war mit Nelken gespickt, der wanstige Vogelleib wirkte wie eine pickelige Handgranate, die bei der Detonation wahrscheinlich das halbe Flugzeuginnere in einen feinen Fettfilm gehüllt hätte.
     
    Plötzlich wurde das ganze Flugzeug von einem Ruckeln erfasst, die Hühnergranaten fielen fast vom Teller, auf den Bildschirmen setzte zur Beruhigung ein Film über Delfine ein, die fröhlich aus dem Wasser sprangen. Delfine? Der Pilot schnurrte etwas aus dem Lautsprecher, da ich kein Russisch verstand, vermutete ich, dass er sagte: »Da wir alle dem unausweichlichen Tod entgegenrasen, wollen wir Sie in den letzten Sekunden vor dem Aufschlag noch ein wenig mit heiteren Meeressäugern unterhalten. Sehen Sie mal, wie die Delfine springen, toll!« Die beiden alten Frauen zu unserer Linken begannen ihre Rosenkränze wie Kettensägenblätter über die Handrücken schleifen zu lassen. Hardcorebeting. Das Licht fiel zeitweise aus, und zum Glück lachte uns von den Fernsehern nicht mehr der diabolische Saddam Wickert an, denn vermutlich wäre das selbst für das ruhige Gemüt meines Vaters eine Prise Apokalypse zu viel gewesen.
    Geistesgegenwärtig wollte er die einsetzende Missstimmung durch ein paar Informationen auflockern, das funktionierte auf Klassenfahrten schließlich auch. Er klopfte mir auf die Schulter und sagte: »Das dort ist eine Gebetsschnur, das russisch-orthodoxe Äquivalent zum Rosenkranz, schau mal da, Bastian.«
    Aufgrund des fallenden Gemütspegels meiner Umgebung spürte auch ich langsam ein kleines Unwohlsein und suchte den Blick meiner Mutter. Sie schaute mich ganz ruhig an und sagte mit samtiger Stimme: »Alles in Ordnung, mein Schatz, spiel ruhig weiter.«
    Ich vertiefte mich in meinen Gameboy und bekam fast nicht mit, wie der linke Propeller aussetzte, was Sergej mit einer Wiederholung seiner Guillotinengeste quittierte. Er sah aus, als wollte er das Triebwerk zum Anspringen bringen, indem er immer stärker und schneller in seine Handfläche schlug.

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