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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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der einzige Jugendliche mit sozialen Problemen und Ängsten dann ich, der Zivi, der von den meisten Schülern, die unsere Einrichtung nutzten, um mit Drogen zu handeln oder gratis Billard zu spielen, wie ein zurückgebliebener Hilfskellner behandelt wurde.
    Ich hasste meinen Zivildienst mit Inbrunst. Jeder Tag war wie ein nicht enden wollender Kreuzweg, an dessen Ende ein nur spärliches Gehalt und ein aussichtsloses Studium im kargen Gemäuer der Uni Dortmund standen. Und jetzt sollte das Martyrium, auf dessen Höhepunkt ich zum Schafbesitzer geworden war, tatsächlich überraschend früher zu Ende sein? Aber wie war ich überhaupt in diesen Schlamassel hineingeraten? Dazu muss man etwas ausholen.
    Meinen Eltern hatte ich schon früh eröffnet, dass ich wohl keinen Wehrdienst ableisten würde. Sie zeigten sich wenig überrascht – bei der Beschau des wackligen Gestells, das sich mein Geist als Körper ausgesucht hatte, war eigentlich klar, dass ich die Grundausbildung nicht überleben würde. Ebenso war auch mein Geist selbst nicht auf Befehlshörigkeit getrimmt, wahrscheinlich wäre ich der erste Wehrdienstleistende der Bundesrepublik gewesen, der wegen anhaltender Befehlsverweigerung und strikter Dummheit zum Tod durch Erschießen verurteilt worden wäre. Ich war so ungeschickt, ich hätte mir bei der ersten Schießübung ein Projektil in die hohle Rübe gejagt, aber nicht ohne zuvor versehentlich auch den Rest meiner Kompanie auszuradieren. Ich war völlig ungeeignet, das Vaterland zu verteidigen – wäre Deutschland auf eine Armee aus Bastis angewiesen, könnte es durchaus passieren, dass wir eines Tages von Luxemburg oder Lichtenstein überrannt würden.
    Mein Vater schlug vor, ich solle einfach behaupten, dass ich schwul sei. Gegenbeweise hätte ich bisher kaum geliefert, außerdem würde eine so homophobe Vereinigung wie der Bund sicherlich davon absehen, irgendjemanden zu verpflichten, der sich schon bei der Musterung wie eine Kölner Szenetranse aufführe. Der Vorschlag war wohl ernst gemeint, meine Mutter bot sogar an, mir für den Tag meiner Wehrdiensteignungsfeststellung eine schnittige lila Strähne in meinen Scheitel zu färben, notfalls könne sie mir auch die Fingernägel lackieren. Ich sah mich schon wie einen zwei Meter großen Boy George zum Kreiswehrersatzamt marschieren. Völlig unnötig, wie ich von meinen Verweigererklassenkollegen wusste, da man sich den Bund mittlerweile durch ein mehrseitiges Schreiben ersparen konnte, das eher einem Bettelbrief als einer Begründung zum Wehrverzicht glich. Also setzte ich mich eine Nacht lang hin und schrieb eine epische Begründung, warum ich tief im Pazifismus verwurzelt sei und Waffen, Krieg und jegliche aggressive Handlung von vornherein ablehnen würde. Mein Leben sei ein heiteres, dem Gebet und Gott verpflichtetes Dasein auf der Suche nach ewiger Glückseligkeit.
    Dass mein Computer die aktuellsten Egoshooter parat hielt, ich mich mit kindlicher Begeisterung und einer Pumpgun durch die digitalen Heerscharen der Hölle fräste und mir zu meinem achtzehnten Geburtstag eine Paintballwaffe gewünscht hatte, verschwieg ich und schrieb, dass der Dienst an der Waffe für mich »undenkbar« sei.
    Eigentlich hatte ich sogar ausgeheckt, mich um den Wehrersatzdienst zu drücken. Ich war einfach nicht von genug Selbstlosigkeit beseelt, um ein Jahr lang zum Hungerlohn Nachttöpfe zu waschen. Idealismus ging mir irgendwie ab, ich fühlte mich seit meiner Jugend eher wie ein Zaungast der Menschheit. Deshalb besuchte ich die langjährige Hausärztin unserer Familie, Frau Dr. Weiler. Frau Doktor war rothaarig, vollschlank und mit einer professionellen Nüchternheit ausgestattet, dass selbst eine Oma, der eine gurrende Taube aus dem Ohr wuchs, ihr nicht mehr als ein Lidzucken abgerungen hätte. Frau Dr. Weiler hatte in ihrer Praxis wohl schon so ziemlich alles gesehen: Feigwarzen, nässenden Ausschlag und Eiterblasen in der Größe eines Dackelhodens – nichts konnte diese Ärztin, deren ungewöhnlich wacher Blick jeden noch so kleinen Morbus mit Interesse studierte, noch schockieren. Über die Jahre hatte sie so manche Eigenartigkeit an mir festgestellt, eigentlich gab es an mir kein Körperteil, das nicht irgendeinen Produktionsfehler aufwies. Ich war das menschliche Gegenstück eines chinesischen Uhrenimitats. Auf den ersten Blick eigentlich ganz in Ordnung, bei genauerer Betrachtung jedoch innerlich kaputt und komplett für die Tonne.
    Ein Mobile aus

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