Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
Vom Netzwerk:
neutralen Strich.
    »Falsch«, sagte ich, ohne groß nachzudenken.
    »Ist Mord richtig oder falsch«, fragte er erneut.
    »Falsch«, sagte ich erneut und hoffte, dass meine Abiprüfungen ähnlich schwer ausfallen würden.
    »Richtig, mein Lieber, richtig. Mit Ihnen ist alles in Ordnung, ich denke, man kann Sie problemlos im Zivildienst einsetzen.«
    »Wie bitte?«, schoss es aus mir heraus, ich sah schon einen senilen Greis mit seinem Gehstock auf mich einschlagen.
    »Okay, okay, hören Sie mal. Geht ein Mann in eine Fleischerei und sagt: ›Ich will was von der groben Fetten.‹ Sagt der Metzger: ›Tut mir leid, die ist heute in der Berufsschule!‹«
    Ich musste lachen, für fade Witzchen war ich immer zu haben.
    »Sehen Sie, Sie sind völlig gesund, jemand mit Anpassungsstörungen hätte da nicht gelacht.« Dann überreichte er mir die Unterlagen und begleitete mich zur Tür, vor der schon ein anderer unglückseliger Kandidat darauf wartete, dass ihm in den Hintern geschaut wurde.
    Zum Abschied gab mir der Amtsarzt noch einen Händedruck mit der Kraft eines Gabelstaplers und entließ mich mit den Worten: »Viel Glück dort draußen, mein Junge.«
    Ich war mir nicht sicher, ob er nur den Zivildienst oder die ganze Welt meinte.

Hühner, die Verstecken spielen
    Ich schaute Marcel dabei zu, wie er sein Panini-Sammelheft auf dem kahlen Tisch zwischen uns ausbreitete. Die Seiten glänzten künstlich und klebten statisch aneinander, als er das Heft aufblätterte und die Seite 168 glattstrich.
    Panini-Sammelbildchen, mit 19 Jahren, dachte ich und überlegte kurz, ob ich ihn nicht fragen sollte, ob wir uns eine Bibi-Blocksberg-Kassette dazu anhören oder das große Playmobil-Piratenschiff aus dem Schrank kramen wollten. Ich entschied mich dagegen und wandte meinen Blick von dem Versuchsaffen vor mir ab, der bei zu viel Aufmerksamkeit bestimmt wieder davon anfangen würde, mir von seinem Komasaufen und dem gemeinsamen Erbrechen mit seinen Freunden zu erzählen.
    Da schaute ich doch lieber ein wenig an die holzvertäfelte Decke und zählte die Astlöcher, die mich wie eine Abfolge von Rosetten anlachten.
    Plötzlich sprang die Tür auf, Fati Yildim kam herein und hustete zur Begrüßung, als müsste er ein Pfund Estrich hervorwürgen.
    »Chef, Chef kommse ma, sik de lan, da isch, ja die Vögel, mit die Vögel, Abuuuuuuu.«
    Ich erwartete ja keine druckreifen Sätze von Fati, aber dieser Mischmasch aus Türkisch, Deutsch und Hustgeräuschen war kaum noch als Sprache zu identifizieren. Außerdem musste Fati geradezu zwanghaft nahezu jeden Satz mit »Abuuuuuu« beenden, was wohl eine Äußerung der Verwunderung oder Begeisterung sein sollte. Er verwendete »Abuuuu« so inflationär, dass kaum rauszufinden war, ob im Vorgarten gerade ein Ufo gelandet war oder er einfach einen Maulwurfshügel faszinierend fand. Fati war zehn, hatte bereits einen Schnurrbart wie Schimanski und die Manieren eines mittelalterlichen Folterknechts.
    »Was für Vögel denn, Fati?«, fragte ich genervt. Ich war gerade beim achtundvierzigsten Astloch angekommen, jetzt konnte ich noch einmal neu anfangen, schönen Dank auch.
    »Ja, Mann ey, Herr Bastian, die Vögel halt, die tun komisch gucken, ey, Abuuuu. Kommse schon, jalla jalla.«
    Die einzigen Vögel, die Fati meinen konnte, waren entweder die fünf Hühner oder das Paar Gänse, das ich Margot und Erich getauft hatte, weil sie so abgrundtief böse waren. Die konnte er kaum meinen, erstens schauten die Gänse eh immer komisch, zweitens traute sich kaum ein Kind in die Nähe der biestigen Riesenvögel, besonders Fati nicht, den sie selbst im Sitzen überragten.
    »Was heißt denn bitte komisch gucken …?«, wollte ich noch fragen, doch Fati hatte mich schon vor die Tür gezerrt. Hinter mir sah ich Marcel noch sorgfältig sein Panini-Buch zuschlagen, die Bude hätte lichterloh in Flammen stehen können, Hauptsache, Ballack und Klose klebten jetzt auf ihrem angestammten Platz auf Seite 168.
    »Da sehen se, Chef Bastian, krass ne, die haben sich voll versteckt die Assis, Abuuuu«, plärrte mir Fati derweil ins Ohr und zeigte auf den Hühnerstall, in dem auf den ersten Blick alles in Ordnung schien.
    Futterspender aufgefüllt, Wasser vorhanden, gesäubert, nur die Hühner fehlten … oha … oder Abuuu, wie man will. Da war ein wackliges Zucken auf dem grauschwarzen Schlammboden des Hinterhofgeheges zu erkennen. Ein Hühnerbein schob sich unter einem roten Backstein hervor, der verloren auf dem

Weitere Kostenlose Bücher