Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
Vom Netzwerk:
Vortrag auf dem Internationalen Kongress der Bettnässer gehalten. Ich war enttarnt. Plötzlicher Druckabfall in der Kabine.
    Jetzt hieß es Ruhe bewahren. Ich sah schon das Exil in der Waldhütte vor mir. Stefanie Schulte hatte recht, meine weise klingenden Ausführungen waren allesamt von Wikipedia, direktes Copy and Paste. Ich hatte sie eigentlich nur als Fallschirm nutzen wollen, um die Schüler mit meinem blanken Fachwissen zumindest so weit zu schockieren, dass sie, falls die Stunde völlig aus dem Ruder lief, kurz einmal ruhig sein würden. Leider hatte ich nicht an die Klassenstreberin gedacht, die sich am Vorabend extra die gesamte Deutung aus Wikipedia herausgeschrieben hatte. Mir fiel nur eine Lösung ein.
    »So eine Unterstellung, rauuuus!«, brüllte ich. Dritter Platzverweis. Das war wohl eine neue Erfahrung für Stefanie, Rausgeworfenwerden stand sonst nicht gerade auf ihrem Schulplan. Ausdruckslos wie ein Klumpen Gips wankte sie zur Tür und wurde dort von Suleyman und Karol in Empfang genommen, die über den unerwarteten Gast wohl ebenso überrascht waren wie der Rest der Klasse.
    Langsam lichteten sich die Reihen. Wenn ich jetzt noch drei bis vier Leute rauswarf, konnte das vielleicht über meinen billigen Plagiatsversuch hinwegtäuschen und wir würden zu normalem Unterricht übergehen.
    »Allllttaaaa, stimmt, Sie haben voll abgeschrieben, Herr Bielendorfer«, kreischte Mustafa aus der letzten Reihe und streckte sein weißes iPhone in die Höhe. Auf dem Display prangten Wort für Wort die betreffenden Zeilen, die ich eben so fachmännisch und leger von mir gegeben hatte.
    Ich fühlte mich wie Theodor zu Guttenberg bei der Pressekonferenz über seine abgeschriebene Promotionsarbeit, mein Körper glitt in einem Kokon aus Schweiß innerhalb meiner Kleidung auf und ab, ich wusste nun, wie das Leben einer Seegurke war. Kurz bevor ich hilflos stammeln konnte, dass »ich nach bestem Wissen und Gewissen nicht bewusst getäuscht hatte« erlöste mich das dröhnende Schellen der Schulklingel.
    Die Schüler verschwanden beim Geräusch der Klingel innerhalb weniger Sekunden, sie lösten sich einfach in einer Wolke aus Kaugummiduft und Deodorant auf.
    Ich stand immer noch wie festgewurzelt hinter meinem Pult, meine Augen suchten auf dem Boden ziellos nach den Splittern meiner Selbstachtung. Gleich würde Herr Klober aufstehen, sein ledernes Federmäppchen nehmen und mir damit den Kopf abschlagen, ganz sicher würde er das tun.
    Ich sah, wie er sich von dem quietschenden Stühlchen erhob und langsam über den staubigen Linoleumboden zu mir schritt.
    Dann klopfte er mir auf die Schulter und brummte anerkennend: »Das war ganz gut, mein Junge!«
    Ich schaute ihn mit glasigen Augen an, die Luft im Raum flirrte vor Hitze, als würde gerade eine Ariane 5 auf dem Schulhof starten.
    Erst blieb ich wortlos, dann entglitt meinen Lippen ein sehr fein formuliertes: »Abbbbaaa…«
    »Immerhin hast du nicht angefangen zu heulen, schon besser als die meisten anderen«, sagte Herr Klober und ging mit seinem Federmäppchen unter dem Arm mit langsamen Schritten zum Schulhof.
     

Die Rückkehr des verlorenen Sohnes
    Am Horizont sah ich den silbernen Passat meiner Eltern auftauchen. Er war leicht zu erkennen, im Kühlergrill war ein Loch, in das genau ein Pfahl unseres Gartenzauns passte, beide Außenspiegel fehlten. Mein Vater hatte sie in Berufung auf die Drehbarkeit seines Kopfes nie ersetzt, ebenso wie den Auspuff, der wahrscheinlich immer noch in einem Graben zwischen Essen und Duisburg lag.
    Als mein Vater anhielt, hustete der Wagen sein eigenes Ozonloch in die kalte Luft Gelsenkirchens. Er stieg aus, warf mir einen wissenden Blick zu, umarmte mich und schmiss meinen Rucksack neben den Hund, der auf der Ladefläche wartete und vor Freude fast einen Herzanfall bekam. Ich stieg ein, und wir fuhren los, an der Ampel winkte uns ein Penner zu. Entweder kannte er meinen Vater, oder er machte sich wegen des Wagens über uns lustig.
    Mein Vater fährt wie ein blinder Henker mit Klumpfuß, jeder Führerscheinprüfer würde ihm sofort jegliche Fahrtauglichkeit aberkennen, nicht nur, weil er an grünen Ampeln bremst und an roten Ampeln Gas gibt, sondern auch, weil er bei der Fahrt seelenruhig seine Kontaktlinsen säubert. Ich hielt mich wie eine Oma im Taxi am Haltegriff an der Wagendecke fest, während mein Vater jede Verkehrsregel missachtete, die sich der Gesetzgeber in den letzten 80 Jahren ausgedacht hatte.
    »Na, Sohn …«,

Weitere Kostenlose Bücher